Darkover 21 - Sharras Exil
hinzu, das Wort auf der Zunge ausprobierend: »Vater.« Sie hob die kleine Hand und streichelte seine narbige Wange. Lew schluckte schwer und drückte sie an sich. Sein Kopf war gesenkt, aber Regis spürte, dass er erschüttert und den Tränen nahe war, und wieder konnte er Lews Gedanken nicht ausschalten.
Ich habe dies Kind schon einmal gesehen, noch bevor Marjorie und ich unsere Liebe entdeckten. Es war eine Vision, und ich legte sie so aus, als werde Marjorie mein Kind gebären und alles werde gut mit uns… Ich blickte in die Zukunft, aber ich sah nicht voraus, dass Marjorie schon Jahre tot sein würde, wenn meine Tochter und ich uns begegneten…
»Wo bist du aufgewachsen, Marja?«
»In einem großen Haus mit vielen anderen kleinen Jungen und Mädchen«, sagte sie. »Die anderen sind Waisen, aber ich bin etwas anderes. Es ist ein schlechtes Wort, das ich nie, nie sagen darf, hat die Hausmutter gesagt, aber ich will es dir ins Ohr flüstern.«
»Tu’s nicht«, wehrte Lew ab. Er konnte es erraten; Regis dachte daran, dass es immer noch Menschen gab, die Lew einen Bastard nannten, obwohl er längst als Erbe von Alton anerkannt war. Lew hatte Marja jetzt auf seinen Schoß gezogen, und sie kuschelte sich in seine Armbeuge.
Wenn ich es gewusst hätte, wäre ich zurückgekommen - wäre ich früher zurückgekommen. Irgendwie hätte ich einen Weg gefunden, an Thyra gutzumachen, was ich ihr angetan habe, ohne es zu wissen…
Unter Regis’ fragendem Blick hob Lew den Kopf. Er erklärte verbissen: »Ich wurde unter Aphroson gehalten. Das ist ein bösartiges Zeug. Man führt ein normales Leben - aber man vergisst von Minute zu Minute, was geschieht, erinnert sich an nichts als symbolische Träume… Ich habe gehört, wenn man einem Psychiater erzählt, an was man sich aus den Drogenträumen erinnert, kann er einem helfen, sich den wirklichen Verlauf der Dinge ins Gedächtnis zurückzurufen. Aber ich wollte nicht wissen… « Die Stimme blieb ihm in der Kehle stecken.
Das musste gewesen sein, nachdem sie aus Aldaran entflohen waren , dachte Regis. Marjorie und Lew flohen zusammen, und Kadarin holte sie zurück, gab Lew Drogen ein und zwang ihn, Sharra als Kraftzentrum zu dienen… Kein Wunder, dass er sich nicht erinnern wollte .
»Es kommt nicht darauf an«, meinte Lew, der Regis’ Gedanken las. Sein Arm schloss sich so fest um das Kind, dass es protestierend wimmerte. »Sie ist auf jeden Fall mein.«
Er sieht hässlich aus, aber er ist nett. Ich bin froh, dass er mein Vater ist…
Sie alle sahen sie erstaunt an; Marja hatte hinausgelangt und ihre Gedanken berührt. Regis dachte: Aber Kinder haben die Gabe nie…
»Thyra war zur Hälfte Chieri «, stellte Lew ruhig fest. »Offensichtlich hat Marja die Gabe. Das kommt nur selten vor, aber zuweilen eben doch. Deine Gabe erwachte früh, nicht wahr, Rafe - als du neun oder zehn warst?«
Rafe nickte. »Ich erinnere mich, wie unser… Pflegevater Lord Aldaran… uns von unserer Mutter erzählte. Sie war die Tochter eines aus dem Waldvolk. Und Thyra… « Er zögerte.
»Mach schon«, forderte Lew ihn auf. »Was es auch sein mag.«
»Du hast es nicht gewusst… Thyra… sie war… wie die Chieri… emmasca . Anfangs war sich niemand sicher, ob sie ein Junge oder ein Mädchen war. Ich erinnere mich noch an diese Zeit, aber nur undeutlich; ich war sehr klein. Dann kam Kadarin - und bald darauf begann sie weibliche Kleidung zu tragen und sich als Frau zu fühlen… von da an nannten wir sie Thyra; vorher hatte sie einen anderen Namen gehabt… Du hast nicht gewusst, dass sie so alt war wie Beltran. Sie hatte ihr zwanzigstes Jahr überschritten, als Marjorie geboren wurde.«
Lew schüttelte den Kopf. Es erschreckte ihn. Regis fing den Gedanken auf: Ich glaubte, sie sei drei oder vier Jahre älter als Marjorie, mehr nicht… und ein Durcheinander von Bildern, Bedauern und Begehren: Thyra spielte die Harfe und blickte in leidenschaftlichem Zorn zu Lew hoch, Thyras Gesicht verwandelte sich plötzlich traumartig in das Marjories… Marjorie fragte sanft: »Du warst ein bisschen verliebt in Thyra, stimmt’s, Lew?«
Lew setzte das Kind ab. »Ich muss eine Pflegerin für sie finden. In meiner Wohnung gibt es keine Frau, die sich um sie kümmern könnte.« Er beugte sich nieder und küsste die kleine, rosige Wange. »Bleib hier bei meiner Verwandten Linnell, Töchterchen.«
Marja hielt seine Hand fest
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