Darkside Park: Mystery-Thriller (German Edition)
zutrippelte, war so korpulent, dass sie mich unweigerlich an einen enormen Kürbis erinnerte. Ihr orangefarbener Kittel verstärkte diesen Eindruck. Ich schätzte das Alter der Frau auf mindestens 60. Auf Selmas dunkelbrauner Dauerwelle thronte ein kreisrundes Hütchen. In der Krempe steckte eine Plastikrose, die bei jeder Bewegung hin und her wippte. Jerry starrte die Frau an, als sei sie vor seinen Augen einem Märchenbuch entsprungen.
»Darf ich ihn mal kurz haben?« Sie tippte das grüne Monster in Jerrys Armen an.
Ohne zu zögern, überreichte er der Frau sein neues Lieblingsspielzeug.
Sie stellte das Monster auf die Theke der Rezeption. Plötzlich schien es lebendig zu werden, marschierte mit weit ausholenden Schritten und schlenkernden Armen über die Theke, vollzog an deren Ende eine nahezu militärisch exakte Drehung und begann auf dem Rückweg, eine mir unbekannte Melodie zu brummen.
Direkt vor Jerry erstarrte es.
»Wow!«, entfuhr es meinem Sohn.
»Er kann noch mehr«, sagte Selma mit strahlendem Großmutter-Lächeln. »Soll ich es dir zeigen?«
»Oh ja … bitte!« Jerry war vor Aufregung ganz heiser.
»Sie können Ihren Sohn beruhigt in Selmas Obhut geben«, sagte Melinda McFaden.
Jerry machte mir die Entscheidung leicht. Er hatte Selma bereits an die Hand genommen und erkundigte sich begeistert nach weiteren Tricks des grünen Monsters.
Ich studierte den Stadtplan und stellte fest, dass zwei meiner Ziele, der Hudson Tower, in dem die Kanzlei ›Macintosh & Partner‹ ihre Büros hatte, und die Stadtbibliothek, zu Fuß in wenigen Minuten zu erreichen waren. Der Hudson Tower war das mit Abstand höchste Gebäude in Porterville. Er wies keinerlei architektonische Besonderheiten auf und wäre in New York niemandem aufgefallen, aber hier dominierte er das Zentrum der Stadt. Ich trat durch die Glastür und befand mich in einem edlen, von Gold und Marmor dominierten Foyer. Hinter einem chromglänzenden Schreibtisch saß eine junge Frau vor einem halben Dutzend ungewöhnlich flacher Monitore.
»Ich möchte zu ›Macintosh & Partner‹.«
»Haben Sie einen Termin?«
»Nein … muss ich das?«
Die Frau drückte auf ihrem Telefon eine vierstellige Zahlenkombination. Nur Sekunden später glitt eine der Aufzugtüren lautlos zur Seite. Aus der Kabine winkte mir ein uniformierter Wachmann entgegen.
»Gibt es keine Treppe?«, fragte ich mit nervöser Stimme.
»Da wären Sie aber sehr lange unterwegs.« Die Empfangsdame wies zur Aufzugtür.
Die Fahrt in die fünfzigste Etage schien nur einen Augenblick zu dauern. Ich hatte gar keine Zeit, um in Panik zu geraten. Der Wachmann sprach kein Wort mit mir. Mir fiel auf, dass er keine Schusswaffe in seinem Holster trug, sondern einen silbernen Stab, den ich für einen Elektroschocker hielt.
Vor der Aufzugtür erwartete mich ein leibhaftiges Klischee. Der sonnengebräunte Mann mittleren Alters sah mit seiner gescheitelten Frisur und dem dezenten, aber teuren Anzug wie der Held einer TV-Anwaltsserie aus.
»Howard K. Brenner«, begrüßte er mich. »Einer der Partner hinter dem Namen Macintosh. Was können wir für Sie tun?«
Ich stellte mich vor und kam gleich zur Sache.
»Sie suchen also einen gewissen Tom Lennox?« Brenner schloss die Augen und dachte angestrengt nach. »Bedaure, Sir. Der Name sagt mir nichts. Aber ich werde einen unserer Mitarbeiter befragen, der Ihnen definitiv helfen kann. Wenn Sie mir bitte folgen würden …«
Brenner führte mich durch einen langen Flur. ›Macintosh & Partner‹ glich eher einer Kunstgalerie als einer Anwaltskanzlei. An den holzvertäfelten Wänden hingen Gemälde aus verschiedenen Epochen.
»Ist das ein echter Dalí?«, fragte ich.
Brenner nickte nur. »Hier herein, bitte.«
Der Raum stand im krassen Gegensatz zur prunkvollen Einrichtung der Kanzlei. Nackte, grau gestrichene Wände, weiß gefliester Boden, ein Tisch mit zwei Stühlen … kein Fenster. Nur eine kreisrunde Neonlampe unter der Decke, die ein kaltes Licht ausstrahlte.
In ähnlichen Räumen wurden in Militärdiktaturen Verdächtige verhört. Brenner schloss die Tür hinter sich. In der gegenüberliegenden Wand gab es eine zweite Tür, die nur angelehnt war. Ich versuchte, regelmäßig zu atmen, fixierte einen festen Punkt an und flüsterte mein ganz persönliches Mantra: Raum … ich habe Raum … ich habe genügend Raum …
Aus dem Nebenzimmer vernahm ich ein Röcheln und Keuchen wie von jemandem, der ernsthafte Probleme mit seinen Atemwegen
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