Darkside Park: Mystery-Thriller (German Edition)
in leuchtenden Lettern davon.
Nun bin ich wieder hier, sitze am Schreibtisch und warte darauf, dass der Single-Malt seine Wirkung tut. Für das schwere Geschütz aus dem Medikamentenschrank ist später noch Zeit. Obwohl ich alle Heizungen aufgedreht habe, ist es eisig kalt. Wahrscheinlich wird es nicht mehr lange dauern, bis auch der Strom ausfällt. Man hat entschieden, den Fremdkörper zu isolieren und auszusondern. Aus deren Sicht durchaus nachvollziehbar. Ich hatte meine Chance dazuzugehören und habe sie mutwillig verspielt.
Wie sagte mein alter Freund Dr. Barrett doch immer: »Gib einem Narren Bürgerrecht, und er fällt in den Dorfbrunnen.«
Dass ich die ganze Zeit selbst dieser Narr gewesen bin, ist mir leider erst viel zu spät klar geworden. Seit dem heutigen Tag sind solche Überlegungen aber ohnehin überflüssig. Nach so langer Zeit auf der Suche nach dem Unbekannten sind die Erinnerungen zu ständigen Begleitern geworden. Und wüsste ich nicht, dass es unmöglich ist, so würde ich glauben, dass seine leuchtenden Augen mich in diesem Moment hinter dem Lampenschirm oder aus dem verglasten Wandschrank heraus anstarren. Ungeduldig und erwartungsvoll. Es mutet wie bittere Ironie an, dass dieser ganze Irrsinn in vollkommener Unschuld seinen Anfang nahm.
Der Erste, der mich nach einem Ort namens Darkside Park fragte, war Scott Harrison, ein kleiner Junge von der ›Junior High‹. Das war Ende der 60er, irgendwann im Frühsommer. Hin und wieder habe ich mich in einer stillen Stunde gefragt, wie die Dinge wohl verlaufen wären, wenn es diesen Moment nie gegeben hätte. Gewiss wäre ich jetzt an einem anderen Ort, und Scotts Eltern hätten noch einen Sohn. Heute weiß ich, dass wir an jenem schicksalhaften Tag den seidenen Faden eines gewaltigen Netzes berührt hatten. Und weit entfernt in dessen Mitte war die riesenhafte Spinne erneut aus tiefem Schlaf erwacht. Sie jagt noch heute.
Doch der Reihe nach: Alles begann an einem wolkenverhangenen Junitag. Ich war wenige Wochen zuvor von Arlington ins beschauliche Porterville gezogen, nicht zuletzt um Abstand zu meiner zweiten ruinierten Ehe zu bekommen. Ende Mai begann ich dann meinen Dienst als Assistenzarzt am ›Kennedy Medical Center‹. Zeitgleich arbeitete ich an einem Forschungsbericht über die Behandlung posttraumatischer Belastungsstörungen. Mein damaliger Mentor, Dr. Joseph Barrett, hatte zu diesem Zeitpunkt einen kleinen Jungen in Therapie, der nach einem schweren Schockerlebnis stationär behandelt werden musste: Scott Harrison. Er und sein bester Freund Toby Jenkins waren eines Tages vom Spielen nicht nach Hause gekommen. Als sie auch am Abend noch nicht zurück waren, begann die Suche nach ihnen. Zwei volle Tage und Nächte lang durchkämmten Polizei und Hunderte Freiwillige jeden Quadratzentimeter von hier bis Denton, doch ohne Erfolg. Am Morgen des dritten Tages fand man Scott schließlich allein durch den Shaden Forest irren. Als man ihn aufgriff, stand er unter schwerem Schock und redete wirres Zeug von bösen Augen und fremden Männern, die er gesehen habe. Sein Freund Toby blieb weiterhin spurlos verschwunden, obwohl die Suche unvermindert fortgesetzt wurde. Sobald Scott wieder zurück in der Stadt und in ärztlicher Behandlung war, brachen seine hysterischen Selbstgespräche plötzlich ab. Physisch war er unverletzt, doch er wies schwere dissoziative Störungen auf und verweigerte jeden Versuch, mit ihm über das Erlebte zu sprechen. Da Barrett ein Verfechter der medikamentösen Therapie war, behandelten wir Scott zunächst mit Imipramin, später dann mit Seroxat und einem gering dosierten Neuroleptikon, jedoch mit wenig Erfolg. Flankierend versuchte ich, psychotherapeutisch auf den Jungen einzuwirken.
Nach etwa einem Monat schien der Panzer, mit dem sich Scott gegen die Außenwelt abgeschottet hatte, endlich erste Risse zu bekommen. Wir befanden uns gerade auf dem Spielplatz der Klinik, den ich als festen Bestandteil in meinen Behandlungsplan integriert hatte. Außer uns waren noch drei weitere Kinder dort, zwei Jungen und ein Mädchen – alle zwischen zehn und zwölf Jahre alt. Ich weiß noch, dass es ein sehr schwüler Tag war und die Kinder träge in den Schaukeln hingen, während ich versuchte, Scott zu einem Ausflug auf das Klettergerüst zu animieren. Er wollte jedoch lieber mit seinem roten Flugzeug spielen, das er ständig bei sich trug und mit dem er sich stundenlang beschäftigen konnte. Es war ein kleiner
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