Darkyn: Blindes Verlangen (German Edition)
sehen. Ist das nicht aufregend?«
Im Sicherheitsraum des Gebäudes beobachtete Michael Cyprien die Familie, die gerade den Eintritt bezahlte, auf den Bildschirmen der Überwachungskameras. Viele solcher Touristen, die die Zeichentrickfilme und die Märchenschlösser leid waren, strömten in die Attraktion zum Thema Mittelalter. Im großen Wachraum des Schlosses aßen die Gäste gebratene Truthahnschenkel und tranken Bier aus Zinnkrügen, während sie sich von Hofnarren, Harfe spielenden Barden und der stets anwesenden Schlossherrin mit ihren sittsam in lange Seidenkleider gehüllten und mit strahlend weißen Wimpeln verschleierten Zofen unterhalten ließen.
Nach dem Essen konnten sie weiter auf den Turnierplatz gehen, wo Live-Vorführungen von Lanzenkämpfen, Duellen und Nahkämpfen für archaische Spannung sorgten. Collegestudenten in falschen Rüstungen schwangen stumpfe Aluminiumschwerter und beeindruckten Horden von Schulmädchen, während sie ihre sorgsam choreographierten Duelle ausfochten oder in glänzender Pracht auf Kaltblütern saßen, die wie Schlachtrösser geschmückt waren. Niemand ahnte, dass die schweigenden Männer, die die vier Hauptabendveranstaltungen beobachteten, tatsächlich im Mittelalter gelebt hatten.
Nicht jeder Besucher jedoch wusste die Authentizität der historischen Umgebung zu schätzen.
»Dad, es gibt keine Videospielhalle«, jammerte einer der Jungen, während er sich umsah. »Und ich habe meinen Gameboy im Hotel gelassen!«
Der Blick des Jüngsten wanderte von einer stehenden Rüstung zu den Lanzen, die an den Steinwänden hingen. »Kann man damit Laserstrahlen abfeuern, Mom?«
»Nein, du Idiot«, antwortete stattdessen der älteste Junge mit düsterer Stimme. »Es sind nur lange Stöcke. Sie reiten auf Pferden und stechen sich damit.«
Der vierte Junge blickte finster drein. »Also wird das richtig langweilig.«
Cyprien drehte den Ton am Überwachungsbildschirm ab und sah, wie die Kinder hintereinander durch das Drehkreuz gingen. Es erinnerte ihn an die Zeit, als er selbst noch ein Junge gewesen war und sein Vater darauf bestanden hatte, ihn und seine Cousins mit auf ein Turnier zu nehmen.
Du wirst lernen, ein Schwert zu schwingen anstatt einen Pinsel, Michael .
Und das hatte er, und jetzt würde er es wieder tun.
Einer von Byrnes Wachen betrat den Raum. »Sie warten alle auf Euch, Seigneur.«
Michael folgte der Wache durch einen Flur und hinunter in den riesigen unterirdischen Komplex, der sich unter dem Knight’s Realm befand. Mitglieder von Byrnes Jardin belegten viele der Kampfsäle, um dort zu trainieren und Übungskämpfe auszufechten. Michael ging in den Hauptsaal, wo sich Byrne und die anderen versammelt hatten.
»Meister.« Michaels Seneschall Philippe wartete ebenfalls auf ihn. »Suzerän Jaus ist gekommen.«
»Dann sorge dafür, dass er alles hat, was er braucht.« Michael legte sein Jackett ab, zog sich Hemd und Schuhe aus. Bei jeder seiner Bewegungen wurde der Duft von dunklen Rosen, der ihn umgab, stärker. Nachdem er zwei Schwerter aus dem Waffenständer genommen hatte, ging er zielstrebig über den gefliesten Boden des Sparringsraums zu dem dreieinhalb Meter breiten Kreis aus polierten, ineinandergreifenden Steinen in der Mitte. Er achtete nicht auf die drei Zuschauer an der gegenüberliegenden Wand oder auf den besorgten Blick, den sein Seneschall seinem Gegner zuwarf, bevor sich Philippe verbeugte und zurückzog.
Suzerän Locksley, der ebenfalls kurze Schwerter in beiden Händen hielt, wartete schon auf ihn. Wie Michael war auch er barfuß und trug nur eine schwarze Hose. Seine Haut verströmte einen leichten, aber eindringlichen Bergamotte-Duft. »Wir können auch später kämpfen, Seigneur, wenn Ihr Euch erst mit Jaus treffen wollt.«
»Valentin kann warten.« Michael wurde langsamer und ging nach rechts, während er auf Locksleys unbewegte Klingen starrte.
»Wie Ihr wünscht, Mylord.« Der Suzerän von Atlanta blieb lässig stehen und reagierte nicht, als sich Michael ihm näherte.
Metall kreischte auf, als Locksley im letztmöglichen Moment seine Klingen hob, um Michaels davon abzuhalten, sein Gesicht in zwei Hälften zu teilen. Die kalte, stärker werdende Wut in Cyprien rannte auf der Suche nach Befriedigung gegen die Wände seines Willens an. Er nutzte sie, ließ ihre Heftigkeit in seine Schwerter fließen.
Die Luft wurde vom Zischen rasiermesserscharfer Klingen durchschnitten.
»Vielleicht sollte ich erwähnen, dass ich Euch treu
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