Darkyn: Ruf der Schatten (German Edition)
sich an keinen Ort zurückziehen. Sie waren zusammen gewesen. Sie schliefen zusammen.
Eine Zeit lang lag sie da und betrachtete ihn. Er hätte anders aussehen müssen, verletzlich. Wenn sie schliefen, schienen Männer die animalische Vitalität zu verlieren, die sie antrieb; bei allen hingen die Kiefer herunter, die Körper waren schlaff, während sie schnarchten oder grunzten oder im Schlaf redeten, wenn sie sich hin und her warfen.
Nicht Valentin. Er bewegte sich nicht und gab auch keinen Laut von sich. Seine Stille und sein Schweigen waren absolut. Sein Gesicht wirkte so unwiderstehlich und hart wie im wachen Zustand.
Lilings Blick wanderte hinunter zu der schrecklichen Narbe um seinen Arm, die im Mondlicht silbern schimmerte. Es tat ihr weh, die ständige Erinnerung an seine Behinderung zu sehen. Alles an ihm war so lebendig, außer seinem Arm. Zweifellos zwang sein Stolz ihn, die Einschränkungen zu akzeptieren, die dadurch entstanden, aber das würde immer eine Belastung sein, unter der er litt.
Wenn sie nicht etwas dagegen unternahm.
Etwas so Schwieriges wie das hier hatte sie noch nie versucht; sie fürchtete, dass es vielleicht über ihre Kräfte gehen würde. Sie spürte auch, dass sein gelähmter Arm nur der Anfang von Jaus’ Schmerz war. Da war viel mehr kaputt, und es lag an Orten, die sie nicht sehen oder erreichen konnte.
Dennochmusstesieesversuchen.NichtalsAusgleichfürdas,waserfürsiegetanhatte,oderalsGestedesMitgefühls.SiehattenurMrsChenversprochen,heimlichsovielenzuhelfen,wiesiekonnte.Undwennsiesichgetrennthatten,dannwolltesiesichersein,dassJausirgendwoaufderWeltheilundglücklichwar.
Liling hatte Fernsehsendungen und Filme gesehen, angenommene Vermutungen darüber, wie man anderen die Schmerzen nehmen konnte. Sie hatte Hunderte von Büchern über das Thema gelesen. Die meisten gingen von der falschen These aus, dass derjenige, der den Schmerz erlitt, ihn irgendwie verdient hatte; dass die Übernahme des Schmerzes von einem anderen Leiden bedeutete oder irgendeinen anderen Unsinn.
Wenn sie das geglaubt hätte, dann hätte das, was sie tat, sie schon vor langer Zeit umgebracht.
Liling stellte sich einen roten Schwan vor, der seine Flügel ausbreitete. So hatte Mrs Chen ihr beigebracht, sich zu konzentrieren, wenn sie sich darauf vorbereitete, von einem anderen zu nehmen. Sie sah, wie ihre Fingerspitzen leicht rot wurden, während sie in sich Platz schuf und dann ihre Hand über seine Narbe legte.
Mit großer Vorsicht öffnete sie sich für ihn. Wenige Funken der merkwürdigen Energie, die der Körper enthielt, prickelten an ihrer Hand und versicherten ihr, dass die Verbindung zwischen ihnen zustande gekommen war.
Die Ärzte hatten immer von ihr wissen wollen, wie sie es schaffte, die Dinge zu tun, die sie als Kind getan hatte, aber sie konnten die Energie nicht so spüren wie Liling. Für sie waren die Funken ein Piepsen auf einem Monitor oder gezackte Linien auf einem Diagramm. Für Liling war die Körperenergie ein Fluss aus Farben und Geräuschen, Duft und Geschmack. Krankheiten und Schmerzen unterbrachen den Fluss, lenkten ihn ab oder blockierten ihn ganz.
Liling holte tief Luft und zog an dem Teil des Flusses in ihm, von dem sie wusste, dass er von seinem Schmerz blockiert war.
Den Schmerz von seinem Körper in ihren zu locken, erforderte Geduld und Durchhaltevermögen. Er kam nicht friedlich, sondern kochend heiß und wütend über die Verbindung zwischen ihnen, bevor er sich in den Platz ergoss, den sie für ihn geschaffen hatte.
Es war auch nicht der Schmerz, den sie erwartet hatte. Dieser Schmerz war etwas ganz anderes, eine Variante, der sie selten begegnete. Zuerst kam er in einem unwilligen Tröpfeln, denn der Arm war schon seit einigen Jahren leblos. Aber die Verbindung wurde breiter, weckte seit Langem schlafende Zellen mit der Energie, die sie durchflossen, bis Liling seinen Fluss in einen Strom verwandelt hatte und dann in einen Kanal und dann in eine Sturzflut.
Es kam immer mehr, und ihre Hand glühte rot, während sie alles aufnahm, die Hitze aushielt, die durch ihren Körper strömte, sie geduldig dorthin lenkte, wo sie hingehörte, bis die Sturzflut zu einer Flut und das rote Glühen orange wurde und sich über ihren Unterarm, ihren Ellbogen, ihre Schulter zog.
Zu nehmen schmerzte nicht, aber ihr Schmerz erfüllte sie, bis sie glaubte, es nicht aushalten zu können, so wie das Wasser einem ertrinkenden Schwimmer über den Kopf stieg. Am Ende wurde der Schmerz
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