Darkyn: Ruf der Schatten (German Edition)
gelegt hatte, wo er gar nicht anders konnte, als sie zu beobachten, war etwas ärgerlich. Er konzentrierte sich auf den Duft, der vom Wasser kam, vermied Untiefen und das Durchfahren von dichten Wasserlilien-Teppichen.
Manchmal beobachtete er sie auch. Er rechtfertigte das damit, dass die Beobachtung einer in Amerika aufgewachsenen jungen Frau sich als hilfreich erweisen konnte, wenn er sich mit seinem Zielobjekt befasste.
»Hey .«
Kyans Blick wanderte zu der jungen Frau, die ihn ansah. »Was ist ?«
»Ich habe da eine Aufgabe für meinen Philosophie-Kurs .« Melanie setzte sich auf und streckte sich. Sie hatte ihr Shirt aufgeknöpft, und durch das Aufsetzen öffnete es sich noch mehr. »Dieser Typ, Albert Einstein, meinte: ›Eine neue Art von Denken ist notwendig.‹ Ich muss darüber eine Abhandlung schreiben .«
Kyan erhaschte einen Blick auf ein schwarzes Abzeichen auf der Innenseite ihrer linken Brust, wie ein Stück eines Tattoos. »Und ?«
Sie ließ die Arme hängen. »Was ist also in der Welt, über das wir neu denken könnten ?«
»Nichts .«
»Alter, das macht ungefähr sechzig Prozent meiner Note aus « , erklärte sie ihm. »Wenn ich einen Ein-Wort-Aufsatz abgebe, dann, na ja, dann falle ich durch den verdammten Kurs .«
Sie hatte die typische amerikanische Einstellung, Antworten nur zu suchen, wenn es dem eigenen Fortkommen diente. »Es gibt nichts Neues auf der Welt « , sagte er zu ihr. »Alles ist noch genauso, wie es war, als sie erschaffen wurde .«
Sie sah sich demonstrativ nach allen Seiten um. »Und wo sind dann die Dinosaurier und die Höhlenmenschen und dieser ganze Kram ?«
»Sie sind noch da. Ihr baut Eure Städte auf ihnen. Ihr grabt ihre Knochen aus und stellt sie für Schulkinder aus .« Er blickte auf den Fluss. »Ihr verbrennt sie in Gasheizungen und führt Kriege über die Herrschaft in dem Land, in dem sie einst lebten .« Seine Stimme wurde rau. »Alles ändert sich, aber alles ist gleich. Nichts neu .«
Er hatte jetzt Melanies volle Aufmerksamkeit, sie sah ihn mit blauen Augen ernst an. »Das ist ehrlich abgefuckt, Alter .«
Kyan war amüsiert. »Willst du das in deinem Aufsatz schreiben ?«
Sie murmelte etwas Unhöfliches über gebürtige Chinesen und lehnte sich zurück, während sie weiterlas.
Ein Mann von der Wasseraufsicht hielt sie am späten Nachmittag an, um die Ladung des Bootes zu überprüfen und Kyan zu befragen. Der spindeldürre junge Mann, dessen neue Uniform noch ganz steif um seinen dünnen Körper saß, schien interessierter an Melanies Brüsten als an Kyans Plänen.
Die junge Frau lächelte und redete mit dem jungen Polizisten, während er sie auf sehr umständliche Weise anmachte. Sie berührte ihre Arme und Schultern schüchtern und lachte viel. Kyan verstand den größten Teil der Unterhaltung nicht, aber es schien den Polizisten zufriedenzustellen. Er kehrte auf sein eigenes kleines Boot zurück und fuhr weiter den Fluss hinauf.
»Hättest du den Typen nicht noch ein bisschen finsterer anblicken können ?« , fragte Melanie, als sie kam, um eine Flasche Wasser aus ihrer Tasche zu holen.
»Habe ich nicht finster genug geblickt ?«
»So, wie du dich benommen hast, dachte er, du schmuggelst Drogen .« Sie trank aus ihrer Wasserflasche und hielt sie ihm hin. »Guck nicht so. Ich habe keine Läuse .«
Er verstand das letzte Wort nicht, das sie gesagt hatte, bis sie seufzte und es auf Chinesisch wiederholte. »Ich hätte dich nicht mitgenommen, wenn du Läuse hättest .«
»Ich bin ja so froh, dass Oma hergekommen ist und einen weißen Kerl geheiratet hat « , sagte Melanie, bevor sie die Flasche zurück in ihre Tasche steckte und zu ihrem Platz an Deck zurückkehrte.
Kyan beobachtete sie, während er die Flasche aus ihrer Tasche nahm, sie aufdrehte und mit dem Wasser die Innenseite seiner Lippen benetzte. Ihr Mund hatte Spuren ihres Geschmacks im Wasser hinterlassen. Das Mädchen hatte einen süßen, einfachen Geschmack, wie ein Bonbon. Er schloss die Flasche und legte sie zurück, leckte über seine Lippen.
In diesem Moment blickte sie von ihrem Buch auf, und ihre Augen wurden schmal. »Du starrst mich schon wieder an .«
Er zuckte mit den Schultern.
»Es ist zu heiß hier draußen .« Sie stand auf, kam zurück zum Steuer und streifte seine Schulter, als sie an ihm vorbei runter in die Kabine ging. »Wenn du mehr sehen willst, komm mit rein .«
Kyan nahm an, dass sie zur Toilette wollte, bis er Wasser plätschern hörte und die Stirn
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