Darling, fesselst du schon mal die Kinder?: Das heimliche Tagebuch der Edna Fry
runterzuholen. Unser Schläfchen wurde unterbrochen, als Viennettas Wehen einsetzten, aber nach ein paar Quality-Streets-Bonbons konnten wir uns wieder abseilen. Wieder mal typisch, dass das Kind ausgerechnet heute kommt. In Zukunft muss ich also ein Geschenk mehr besorgen.
Trotz all der Geschehnisse der letzten Zeit war ich insgesamt froh und erleichtert, dass der heutige Tag genauso verlief wie jedes andere Weihnachtsfest der Familie Fry.
26. Dezember, Montag
Heute Vormittag haben wir alle zusammen unseren traditionellen Stephanstag-Spaziergang unternommen. Es war einfach wunderschön, wie die frische Wintersonne vomKanal gespiegelt wurde. Okay, von den Einkaufswagen im Kanal.
Nach den Spam-Sandwiches zum Lunch überreichte Stephen mir sein Weihnachtsgeschenk. Womit er diesmal mehrere Tage früher dran war als sonst. Und ausnahmsweise war es kein Duftbäumchen oder ein Vorratssack Holzkohle. Es war überhaupt nichts von der Tankstelle – es war ein Büchergutschein für Walter Stone’s an der High Street. Ich sah ihn mir genau an. Er sah echt aus. Ich war regelrecht sprachlos. Dann fand ich den Haken. Das Kleingedruckte auf der Rückseite verriet, dass er nur am 31. Dezember dieses Jahr gültig ist. Wusst’ ich’s doch! Den muss er billiger bekommen haben.
Trotzdem ist es wahrscheinlich das schönste Weihnachtsgeschenk, das er mir je gemacht hat. Und seine Worte auf dem Begleitkärtchen waren wahnsinnig lieb: »Für meine liebe Edna. Fröhliche Weihnachten. Ich liebe Dich. Es wird Zeit, dass Du es erfährst.«
Ich muss gestehen, mir stiegen die Tränen in die Augen, als ich draußen plötzlich die text- und tonsicheren Sternsinger hörte. Sie hatten sich meinen Rat offenbar zu Herzen genommen, und das Ergebnis war so schön wie erhebend. Solche Bemühungen hatten eine Belohnung verdient. Schade, dass sie einen Tag zu spät dran waren.
27. Dezember, Dienstag
War heute Morgen beim Schlussverkauf. Unglaublich, was für ein Gewimmel da herrschte. Ein wahres Wunder,dass ich keins meiner Kinder verloren habe. Ist ja nicht so, dass ich’s nicht versucht hätte.
28. Dezember, Mittwoch
Also ich bin ja wirklich beeindruckt vom Schneemann der Kinder. Er ist so realistisch geworden, wie er da mit dem halb gegessenen Kebab am Müllcontainer lehnt. Ich glaube, der würde sogar Stephen imponieren. Apropos, ich frage mich, wo der hin ist. Ich glaube, ich hab’ ihn seit gestern Abend nicht gesehen.
29. Dezember, Donnerstag
Noch immer kein Zeichen von Stephen. Scharwenzelt garantiert wieder in seinen ewigen Schürzenjagdgründen herum. Langsam fällt mir nichts mehr ein, was man mit dem Truthahn sonst noch machen könnte. Ich glaube, so langsam können wir ihn auch essen.
30. Dezember, Freitag
Wie schade, dass der Schnee taut und die weiße Landschaft ergraut. Der Zauber schwindet dahin. Der Vorteil ist, dass ich Stephen gefunden hab’. Ich hol’ ihm lieber einen Pullover.
Nachdem ich Stephen abgetrocknet und aufgewärmt und Brangelina und die Zwillinge auf die stille Treppegeschickt hatte, setzte ich mich hin und sah die Post durch. Zwischen den Rechnungen und Prospekten lag erstaunlicherweise etwas, das wie eine Weihnachtskarte aussah. Ich konnte mir nicht recht vorstellen, dass die Post schuld sein sollte – alle anderen Karten hatten wir schließlich wie immer am 28. erhalten. Auf den zweiten Blick sah ich den Grund der Verspätung. Sie war in Los Angeles abgestempelt worden.
Seltsam, dachte ich und drehte den Umschlag hin und her. Wen kannten wir denn bloß in Los Angeles? Ich wollte den Umschlag gerade aufreißen, um nachzusehen, da fiel es mir ein. Natürlich! Der nette, charmante, kultivierte, muskulöse amerikanische Arzt. Laurie Irgendwas. Weiß ich nicht mehr genau. Was waren damals seine letzten Worte gewesen? »Ich hoffe von ganzem Herzen, dass wir uns wiedersehen.« Oder so ähnlich, glaube ich – ich weiß es nicht mehr genau.
Ich spitzte die Lippen und schlitzte sorgfältig den Umschlag auf. Mit zitternden Fingern entnahm ich die Karte, und mehrere handbeschriebene Blätter fielen heraus. Was wollte er mir sagen? Oder mich fragen? Leider konnte ich die Handschrift von Ärzten noch nie entziffern.
31. Dezember, Samstag
Stephen schoss heute Morgen ohne ein Wort aus dem Haus. Wohl wieder einer seiner Notfallfensterputzeinsätze. Hoffentlich ist er rechtzeitig zur Silvesterbratensoiree mit Volksmusik bei Mrs. Norton zurück.
Die Kinder sind alle in der Mall, und
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