Darling, ich bin deine Tante Mame! - Roman
anderen. Eines Abends jedoch ging Tante Mame in geselliger Runde aus und hatte die einzige Kopie eines packenden Manuskripts dabei, das nach Lebertran stank und von einem dänischen Forscher verfasst worden war. Irgendwo auf dem Weg zwischen Jack Delaney’s und dem Cotton Club ging das Manuskript verloren. Es kam zu einem Prozess, und unschöne Worte fielen zwischen Tante Mame und Mr. Liveright. Ein Jahr darauf veröffentlichte ein aufstrebender Kleinverlag das überarbeitete Manuskript. Es verkaufte sich über einhunderttausendmal, und aus dem Buch entstand ein überaus erfolgreicher Dokumentarfilm. Tante Mame behauptete danach immer, sie könne einen Bestseller riechen.
Unverzagt wechselte Tante Mame hinüber zu einem anderen Zweig der schönen Künste– Inneneinrichtung. Niemand wollte bestreiten, dass Tante Mame Geschmack hatte, auch wenn er gelegentlich etwas bizarr ausfiel. Dennoch besaß sie gewisse Qualitäten, die im kommerziellen Ausstattungswesen wichtig sind: Sie hatte Charme, sie hatte Flair und Originalität, und sie kannte viele einflussreiche Leute. Daher war es nur logisch, dass Tante Mame an das auf Rokoko spezialisierte Atelier von Elsie de Wolfe und ihren lustigen Gehilfen geriet.
Mit ihrer »Gefolgschaft«, wie sie sich ausdrückte, und viel geistreichem Gerede über den Regency- und Directoire-Stil zog sie einen Job an Land, der nicht nur gut bezahlt war, sondern der auch großzügige Provisionen versprach. So bewandert Tante Mame in der ornamentalen Kunst Frankreichs auch war, ihr Herz schlug eher für das Bauhaus Dessau als für das Geschnörkel von Versailles.
Eine Zeit lang war sie in der Lage, ihre progressiven Impulse zu unterdrücken und mit den Mitarbeitern bei Elsie de Wolfe gleichzuziehen. Munter schwatzte sie über Wandleuchten in mattem Malergold und falsch gehende Amor-Figurenuhren. Unter den aufmerksamen Blicken einer Aufseherin stattete Tante Mame ein Eingangsfoyer in der Fifth Avenue aus, ein Speisezimmer in Oyster Bay und ein Boudoir am Gracie Square, alle im Louis-Quinze-Stil. Im Alleingang dann richtete sie mit jeder Menge Empire-Nippes, den sie in der Avenue A aufgetrieben hatte, die Suite ihrer Freundin Vera im Algonquin ein. Pflichtschuldig wurden Zimmer und Bewohnerin in Home Beautiful abgelichtet, Miss de Wolfe schrieb Tante Mame einen überschwänglichen Brief, und ihre Einrichtungen im Empirestil waren gefragt wie nie, besonders unter Alkoholschmugglern, die die Einzigen waren, die sich teure alte Möbel leisten konnten. Zuerst schien Tante Mame selbst ein wenig erstaunt über ihren rauschenden Erfolg, doch nachdem sie die Einrichtung von drei, vier Wohnungen in Central Park West im Empirestil gemeistert hatte, gingen ihr die Karyatiden und Säulchen auf die Nerven, und sie bekam wieder Lust auf Modernes. Ästhetisch ein Fortschritt, finanziell eine Katastrophe.
Im Herbst, als eine gewisse Mrs. Riemenschneider aus Milwaukee, deren verstorbener Gatte in der Sparte » bierähnliche Getränke « wahre Wunder vollbracht hatte, auf sie aufmerksam wurde, witterte Tante Mame ihre große Chance. Mrs. Riemenschneiders Vorstellungen waren eine Nummer zu groß, jedenfalls für Milwaukee, weshalb sie sich auf New York und dort wiederum auf eine gesellschaftliche Stellung kapriziert hatte, die nur mit sehr viel Geld sowie mit all den Dingen, die über drei bis vier Generationen in einer Familie angehäuft werden, zu erreichen ist. 1930 war der Markt ein Käufermarkt, und Mrs. Riemenschneider hatte reichlich Bares, um sich den Weg nach oben zu erkaufen. Sie war kaum ein paar Stunden in New York, da hatte sie bereits eine schicke Stadtvilla in den East Sixties erworben und Tante Mame einen hübschen Scheck über einhunderttausend Dollar überreicht, damit sie das Haus » wie Fontäng blöh « einrichtete. Mit diesen Worten brach sie zum Kleiderkaufen nach Paris auf, nicht ohne Tante Mame vorher die Zusage abgerungen zu haben, ihr Haus sei noch vor Weihnachten bezugsfertig.
Das Haus war Weihnachten fertig, und Tante Mame war mit der Welt fertig. Der Hang zur Dessauer Moderne war zu stark gewesen– fast so stark wie die Worte, die Mrs. Riemenschneider bei ihrer Rückkehr fand, als sie feststellen musste, dass die Marmorfassade ihres verschnörkelten Häuschens entfernt worden, die meisten Wände herausgebrochen und die Räume mit rostfreien Stahlrohrmöbeln, Drahtskulpturen und der progressivsten kubistischen Kunst vollgestellt waren, die sich mit Geld und Vorstellungskraft
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