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Darling Jim

Darling Jim

Titel: Darling Jim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mork
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meisten hatten Schlafsäcke und Wasserflaschen dabei, und keine hatte genug Geld, um sich ein Zimmer bei ihr zu leisten, nicht einmal für eine Nacht. Sie alle nannten ihn »Darling Jim«, und es dauerte nicht lange, bis die Presse davon Wind bekam und den Namen zu dem Schlagwort machte, das die Stadt bis heute loswerden will.
    »Sie reden irgendwie so merkwürdig«, versuchte sie Jonno zu erklären, der mir später davon erzählte. »Schauen dir nicht in die Augen und sind schon ganz woanders. Diese räudigen Hippies lasse ich bestimmt nicht in meinem Haus schlafen.«
    Aber aus den vereinzelten Wandergrüppchen auf der Straße wurden bald ganze Karawanen. Es war, als hätten die verlorenen Stämme Israels Ägypten großräumig umfahren und wären stattdessen bei uns gelandet. Bronagh verhaftete zwei vierzehnjährige Mädchen, die sich an den Laternen vor der Polizeiwache festgekettet hatten und sich weigerten abzuhauen. Sie hatten sich in den Kopf gesetzt, dass Jims sterbliche Überreste in der Leichenhalle auf einer Bahre lagen. Tatsächlich war er in einer Gefriertruhe in der Hütte des Hafenmeisters, um die Groupies von ihm fernzuhalten, bis er für seine letzte Reise fein gemacht worden war. Drei erwachsene Frauen kampierten vor Father Malloys Pfarrwohnung, um ja die ersten Trauergäste nicht zu verpassen. Oh, es war ein richtiger Zirkus, der nur aus Clowns bestand. Wer schon die Walsh-Schwestern für verrückt hielt, würde bald sein blaues Wunder erleben.
    An Jims letztem Tag über der Erde war die Kirche so überfüllt, dass Bronagh Verstärkung aus Kenmare erbeten hatte. Ganze drei Streifenwagen mit Besatzung. Auf den Steinstufen, die von der Hauptstraße zur schweren Eichentür von Sacred Heart führten, wimmelte es von Mädchen, die sich Blumen auf die Wangen gemalt hatten, schluchzenden Omis und Kameramännern, die um den besten Platz rangelten. Mary Catherine Cremin hatte die beste Kamera ihres Vaters mitgebracht und eine Teleskoplinse aufgeschraubt, mit der man sogar das Muttermal auf Father Malloys Wange erkennen konnte.
    Meine Schwestern und ich hatten uns entschieden, der Veranstaltung fernzubleiben. Den größten Teil der Woche hatten wir getrennt voneinander mit immer wechselnden Polizisten verbracht, die uns dazu drängten, endlich zu gestehen. Irgendwie wäre es uns unpassend erschienen, Jim das letzte Geleit zu geben. Wir drei gaben keinen Millimeter nach, wenn auch Fiona während der Verhöre so bitterlich weinte, dass die Cops glaubten, Jim hätte sie vergewaltigt.
    Aber am Samstag konnte ich der Versuchung nicht widerstehen.
    »Ich geh mal Milch kaufen«, sagte ich meinen Schwestern, die zu Hause blieben, damit die Schaulustigen uns nicht die Fenster eindrückten. »Bin gleich zurück«, log ich. Ich schnappte mir eine Baseballkappe, die einer von Aoifes amerikanischen Liebhabern zurückgelassen hatte, und radelte den Hügel hinunter zu dem Lärm, der aus tausend erwartungsvollen Kehlen stieg. Es klang wie im Kolosseum kurz vor der Löwenfütterung, und das machte mir mehr Angst als die Vorstellung, wie Jim in seinem Sarg wahrscheinlich aussah. Zwei alte Leutchen zeigten auf mich und machten ein paar Fotos, als ich vorbeifuhr. Warum nur antwortete Evi nicht auf meine SMS? Ich fragte mich, wie die Mädchen im guten alten Sotschi wohl aussehen mochten, als ich hinter dem Kirchturm ankam. Ich hoffte von Herzen, dass sie allesamt hässlich waren.
    Zuerst sah ich Tante Moira gar nicht.
    Zum immer noch leeren Altarraum kam ich, weil ich mich durch die Hintertür beim Nonnenfriedhof ins Kirchenschiff schlich. Das durch die Bleiglasfenster einfallende Licht brach sich an einem weißen Sarg, der noch makelloser glänzte als Jims Vincent. Father Malloy beugte sich tröstend über eine Gestalt, die mit gefalteten Händen vor dem Sarg kniete und betete.
    »Ich bitte Sie, kommen Sie jetzt«, sagte er. »Wir müssen beginnen. Geben Sie mir Ihren Arm.«
    Meine Tante trug Trauerkleidung, die so schwarz war, dass selbst die Raben in unserem Garten neidisch geworden wären. Ihr Gesicht konnte ich nicht erkennen, da ihr Trauerschleier so dicht gewebt war, dass er wie eine Fechtmaske aussah. Trotzdem wich ich hinter einen Mauervorsprung zurück, als sie aufstand und dabei in meine Richtung blickte.
    Als Father Malloy die anderen hereinließ, klang es, als dränge sich eine Herde Elefanten in die Kirche. Ich wagte nicht, während der Trauerfeier in der Kirche zu bleiben, denn ich konnte mir vorstellen, was mir

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