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Darling Jim

Darling Jim

Titel: Darling Jim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mork
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waren. Moiras Haus war hinter der nächsten Hügelkuppe verborgen und von hier aus nicht sichtbar. Aber ich stellte mir vor, wie sie nervös durch das Haus tigerte und zwischen den Gipsheiligen alle paar Sekunden auf die Uhr schaute. Weil Jim immer noch nicht wieder zu Hause war. Sie tat mir beinahe leid. Ich roch verbrannte Tomaten aus der Küche und ging hinein. Meine Schwestern hatten sicher schon das Essen fertig ruiniert.
    Als ich die Tür hinter mir schloss, fragte ich mich, wann unsere Tante draußen stehen und von uns mehr als Antworten fordern würde.
    In derselben Nacht träumte ich von Evi. Sie hisste die Segel eines Bootes, das aus alten ägyptischen Sarkophagen gebaut war, und wir segelten in einer mondlosen Nacht über ein samtenes Meer. Ich hielt ihre Hand, die abwechselnd schneeweiß und obsidianschwarz schimmerte. Als ich angstvoll in ihr Gesicht blickte, riss irgendwo hinter dem ruhigen Horizont in der realen Welt eine Explosion unsere Hände auseinander, und ich schoss in Aoifes Bett in die Höhe und fragte mich, wo ich war. Die Scheiben klirrten, und das Regal fiel samt Inhalt krachend zu Boden. Draußen schlugen orangefarbene Flammen empor.
    Fiona hatte neben mir geschlafen und boxte mir beim Aufwachen vor Schreck erst einmal kräftig in den Bauch. Wir stießen mit den Köpfen zusammen, suchten nach unseren Bademänteln und torkelten nach draußen. Aoife begegneten wir auf unserem Weg zur Haustür nicht. Ich dachte, es sei ein Gruß von Tante Moira, die uns in die Steinzeit zurückbomben wollte.
    Der Benz brannte. Aus seinen zerborstenen Fensterscheiben schlugen die Flammen so hoch, dass sich das Dach in der Hitze verbog, bevor noch die Reifen platt waren. Der limettengrüne Lack platzte ab und verschmolz zu farbiger Lava. In dem Wrack explodierte noch etwas mit lautem Knall, und Fiona und ich setzten uns vor Schreck auf den Hintern. Dann sahen wir meine Zwillingsschwester im Schein des Feuers. Sie stand ganz ruhig da, rauchte eine Zigarette und hielt die Flinte in der Hand.
    »Was ist passiert?«, schrie ich über den Lärm des Feuers. Aoife zuckte mit den Schultern und gab mir einen Zug. »Wir haben gesehen, wie ein paar uns unbekannte Männer über die Hecke da drüben geflüchtet sind. Siehst du sie?«
    Bumm-Bumm!
    Bevor wir reagieren konnten, hatte meine Schwester die Waffe hochgerissen und beide Läufe in Richtung Himmel abgefeuert.
    »Was zum ... «, begann Fiona, aber Aoife war noch nicht fertig. Sie sprach, als lese sie ein extra für diesen Anlass geschriebenes Drehbuch vor und erwarte von uns volle Aufmerksamkeit für unsere Rollen. Sie zeigte auf die Stadt.

»Sie sind da langgerannt, weil sie gerade mein Auto angezündet haben«, sagte sie zum Himmel statt zu uns. »Ihr konntet ihre Gesichter nicht erkennen, weil ihr erst von der Explosion wach geworden seid, aber das macht nichts. Bronagh muss nur wissen, dass die Leute schon seit Monaten glauben, wir würden Darling Jim Quick irgendwann umbringen. Diese Jungs haben das Gerücht gehört, dass ihr seanchai das Zeitliche gesegnet hat. Sie wollten Rache, und da fällt ihnen doch nichts Besseres ein, als genau das Auto zu verbrennen, das wir von oben bis unten mit Jims Blut beschmiert haben. Aber da kann man jetzt wohl auch nichts mehr machen. Nach diesem Feuer können die Gardai froh sein, wenn sie die Seriennummer auf dem Motorblock finden. Was meint ihr?«
    Ich war schwer beeindruckt. Wir anderen hatten überhaupt nicht daran gedacht, das wichtigste Beweisstück zu zerstören, dabei kam das in den Serien, die Bronagh so liebte, die ganze Zeit vor. Aber ein Blick auf Aoife verriet, wie sehr sich meine Schwester in den vergangenen Wochen verändert hatte. Das letzte Stück Hippiemädchen, das Mädchen, das den Bäumen zuhörte, war in dem Öl fass geblieben, in dem ich unsere Kleider verbrannt hatte. Fiona griff nach meiner Hand, als ängstige sie die Vorstellung über die Maßen, dass ihre zwei kleinen Schwestern sich darauf vorbereiteten, einen Mord zu leugnen, auch wenn er aus gutem Grund geschehen war. Der schwere, beißende Geruch von brennendem Benzin umschwebte uns wie ein wütender Dämon, und ich bekam Kopfschmerzen.
    Aoife schenkte uns ein Lächeln, das wir noch nie gesehen hatten, und drückte ihre Zigarettenkippe mit der nackten Ferse aus. Sie wirkte weder heiter noch rachsüchtig, und es lag kein Hass in ihren Augen. Wahrscheinlich war sie einfach froh darüber, dass sie endlich etwas tun konnte und nicht mehr nur dasitzen

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