Darling Jim
gefunden? Ich zerbrach mir den Kopf darüber, während ich zu meiner Schwester radelte. Auf dem Weg hielt ich an und übergab mich.
Während Bäume und neugierige Blicke an mir vorbeizogen, versuchte ich mir vorzustellen, was passieren würde, wenn ich den Brief einfach zerriss und Fiona nichts davon erzählte. Es war nur ein Bluff, der verzweifelte Bluff einer Frau, die wirklich auch das letzte bisschen Verstand verloren hatte, mit dem sie von ihrem Plastikjesus ausgestattet worden war. Das war doch offensichtlich.
Aber dann begann ich zu zweifeln. Hatten wir unsere Fingerabdrücke noch auf anderen Dingen hinterlassen? Auf Jims Hemdknöpfen vielleicht? Aber die Cops hatten doch alles gründlich durchsucht? Mir schwirrte der Kopf wie ein Propeller, als ich die Tür zu Fionas Wohnung aufriss, hineinrannte und wie eine Verrückte mit dem Brief wedelte.
Aber meine liebste große Schwester war nicht allein.
Die Gestalt, die auf dem Sofa saß und in einen alten Feuerwehrmantel gewickelt war, stand nicht sofort auf. Ich wollte Fiona gerade fragen, ob Freiwillige aus dem Dorf angeboten hatten, mit uns das Cottage wieder aufzubauen. Aber dann war ich dicht genug dran und sah, wer sich unter diesem Ungetüm verbarg. Ich ließ den Brief fallen, machte einen Schritt nach vorne und spürte gleichzeitig warme, karamellweiche Liebe und eine solch eiskalte Wut in meinem Herzen, dass ich es kaum beschreiben kann. Denn die Besucherin hob den Kopf und lächelte schüchtern.
»Oje. Jetzt reißt du mir wahrscheinlich den Kopf ab, Rosie«, sagte Aoife.
Lange Zeit geschah gar nichts. Keine Freudenschreie, keine Schimpftiraden. Ich hob nur den Brief vom Boden auf und setzte mich so weit von Aoife entfernt hin wie möglich. Ich wusste beim besten Willen nicht, was ich sagen sollte. Die alte Holztür knarrte im Wind. Fiona schenkte mir ungefragt eine Tasse Tee ein, und ich nahm sie ohne Zögern an. So waren meine Hände wenigstens beschäftigt, während mein Gehirn versuchte, die Situation zu verarbeiten.
»Ich schulde euch eine Erklärung, das weiß ich«, sagte meine Zwillingsschwester und nickte ihrer leeren Tasse zu.
»Ein paar lausige Cent«, sagte ich schließlich und versuchte, ruhig zu bleiben.
»Roisin«, sagte Fiona und klang wie unsere Mutter früher. »Das hätte es dich gekostet«, beharrte ich. »Eine verdammte Briefmarke auf einer Postkarte. Um uns zu sagen, dass du noch unter den Lebenden weilst. War das zu schwierig für dich? War es zu kompliziert, die Marke abzulecken? Warum hast du sie dann nicht in den Regen gehalten und dann auf die Karte geklebt? Das hätte schon gereicht.«
»Rosie«, versuchte Aoife mich zu unterbrechen. Sie sah zum ersten Mal auf den Brief in meiner Hand. »Lass mich doch ... «
»Das könnte dir so passen«, schrie ich. Ich schaffte es nur mit größter Anstrengung, meine Tränen zurückzuhalten. »Fiona und ich hatten eine Menge Spaß hier. Wir sind ja schließlich die Stiletto-Schwestern, und das ist toll, sage ich dir. Und du? Südfrankreich mit einem Fußballer? Oder mit dem Belgier, der uns immer zeigen wollte, wie man auf den Fingern pfeift?«
»Ich musste mich um etwas kümmern«, sagte Aoife schließlich, als sei dies Erklärung genug. Sie wickelte sich in ihren Mantel, als wolle sie sich vor uns verstecken. Fiona legte mir eine Hand auf die Schulter, aber ich ignorierte sie. Ich weiß vielleicht nichts über das Wesen der Zeit, aber ich bin nicht dumm genug, um nicht zu merken, wie es sich anfühlt, wenn nach drei Jahren geheuchelter Normalität die Bombe platzt. Ich faltete das Blatt Papier in meiner Hand mehrmals und vergaß beinahe, dass es sich nicht um eine Dinnereinladung handelte, sondern um ein Origami des Satans.
»Nun, dann hoffe ich, du hast bei unserer Tante Moira vorbeigeschaut, falls du meintest, wir sollten dir dafür vergeben. Na? Hast du sie aufgespürt und ihr das Haus unter dem Hintern angezündet? «
»Das reicht jetzt!«, unterbrach mich Fiona. Sie war richtig schockiert, glaube ich, weil ich trotz allem, was passiert war, diesen Gedanken laut aussprach. Aber sie hatte ihn selbst schon gedacht, deshalb klang ihre Stimme jetzt auch so schrill und geschockt wie die einer Großmutter.
»Nein, das habe ich nicht getan«, sagte Aoife und streckte mir die Hand entgegen. Nach ein paar Momenten ergriff ich sie, aber ins Gesicht sehen konnte ich ihr immer noch nicht. Niemand soll mich weinen sehen, nicht einmal meine Schwestern. Als Evi mich noch besuchen kam,
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