Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Darling Jim

Darling Jim

Titel: Darling Jim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mork
Vom Netzwerk:
Tage wurden zu Wochen und dann zu Monaten, und ihre Nachricht, ihr Liebesbrief, wurde immer mehr zu einem endgültigen Abschied, je öfter ich bei ihrem letzten Wort anlangte.
    Was ich damals nicht wissen konnte, war, dass noch ein weiterer Brief folgen würde.
    Ein Brief, in dem von Liebe keine Rede war.

XXI.
    Weißt du noch, dass ich dir erzählt habe, ich wüsste ein oder zwei Dinge über das Wesen der Zeit? Vergiss es. Es stellte sich heraus, dass ich eine ahnungslose Idiotin war. Die Zeit macht, was sie will, da kann man noch so oft behaupten, man habe ihre Mysterien durchschaut. Und Heraklit und Einstein können sich ihre klugen Sprüche sonst wohin stecken.
    Denn die drei Jahre, die wir ohne Aoife verbrachten, kamen mir vor wie zwanzig.
    Fiona und ich verriegelten ihr Cottage. Wir hielten das für das Richtige, denn es trieben sich immer noch Fotografen vor unserer Tür herum, und im Sommer nervten uns sogar die Kinder mit Kamerahandys. Außerdem wurde das Dach immer undichter, und wir mussten bei Regen nachts immer aufstehen und Eimer im Haus verteilen. Finbar, der gute alte Gierhals, bot uns einen guten Preis für das Grundstück, aber Fiona gab ihm deutlich zu verstehen, wohin er sich sein Angebot stecken konnte.
    Ich zog also in Fionas ägyptischen Tempel und musste höllisch aufpassen, dass ich beim Putzen ihren Nippes nicht herunterwarf. Sie verdiente das Geld für die Miete genauso wie früher, was dir vielleicht ein wenig geschmacklos vorkommen mag. Irgendwie morbide, eine garantiert schuldige Mörderin nach dem ganzen Aufruhr in Sacred Heart junge, leicht zu beeinflussende Kinder korrumpieren zu lassen, stimmt's?
    Es gab tatsächlich einige Eltern, die meine Schwester als eiskalte Killerin darstellen wollten. Mary Catherines Vater Donald Cremin gehörte dazu, und auch andere Eltern flüsterten lautstark absurde Geschichten über sexuelle Ausschweifungen und Hexenzirkel in Mrs. Gatelys halb taube Ohren.
    Aber sie hatten nicht mit ihren eigenen Sprösslingen gerechnet.
    Wenn ein altkluges Monster unter einem fadenscheinigen Vorwand aus ihrer Klasse genommen wurde, gab es genügend Nachfolger, die ganz wild darauf waren, sich von Castletownberes weiblichem Jesse James unterrichten zu lassen. Sie standen im Flur Schlange.
    Zu Hause blätterte sie unzählige Reiseführer durch und starrte Landkarten an, als könnten wir beide tatsächlich die Stadt verlassen, solange Aoife verschwunden war. Ich wusste, dass sie Trost darin fand, sich im Wüstensand verstreute Steinhaufen anzusehen. Sie verlor zwar nie ein Wort darüber, aber das war auch nicht nötig, denn ich konnte sie sogar vom anderen Ende des Zimmers denken hören. Sie hatte schon immer die lautesten Gedanken von uns dreien.
    Ich wurde in der Zwischenzeit ein echter Amateurfunkprofi, falls das Paradox erlaubt ist. Früher hatte ich mit Hinz und Kunz geplappert, nur um mir die Zeit zu vertreiben. Aber inzwischen hatte ich Kurzwellenspione von Clontarf bis Killala darauf angesetzt, nach einer Frau mit kurzen blonden Haaren Ausschau zu halten, die einen verbeulten Vauxhall Royale fuhr. Sogar walisische Schulmädchen in Aberystwyth machten mit, und ich führte lange, abgehackte Konversationen mit Hafenmeistern in Liverpool und Cherbourg, denn es konnte ja sein, dass sie in diese Richtung gegangen war. Und stell dir vor, ich hörte dabei doch tatsächlich auf zu rauchen und ging auf wie ein Hefeteig. Fiona sagte, das stünde mir gut, und ich hätte ihr am liebsten eine dafür gescheuert. Jetzt, da Evi weg war, lohnte es sich ohnehin nicht mehr, sexy auszusehen. Ich verschenkte fast mein ganzes Vampir-Make-up an ein paar zaundürre Mädels aus Sacred Heart, die mich vor Freude darüber fast abknutschten. Das Haus verließ ich nur zum Einkaufen, und die restliche Zeit verbrachte ich mit meinen Knöpfen und meinem Mikrofon, denn nur dort fühlte ich mich sicher.
    Aber es half alles nichts. Aoife war spurlos verschwunden.
    Und noch jemand anderes war aus meiner unsichtbaren Megahertz-Welt verschwunden, aber das merkte ich erst Monate später.
    Torwächter, das arrogante Phantom, das schon lange vor mir alles über Jim gewusst hatte, hatte seine Tore geschlossen. Ich suchte auf jedem Band nach ihm und bat sogar andere Funker, mir Bescheid zu sagen, falls sie zuffällig auf ihn stoßen sollten. Ich wartete vergeblich, und ich fragte mich allmählich, ob der aalglatte Charmeur vielleicht Jim selbst gewesen sein könnte, der uns auch über den Äther quälen

Weitere Kostenlose Bücher