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Darling Jim

Darling Jim

Titel: Darling Jim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mork
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wollte, weil ihm die reale Welt nicht genügt hatte.
    »Vor ein paar Tagen habe ich jemanden gehört, der dein Typ sein könnte«, behauptete mein besonders nerdiger Kurzwellenverehrer im englischen Brighton. »Er hat einfach einen Kanal geöffnet und dann eine Weile über die Natur des Bösen geschwafelt. Ziemlich blau, wenn du mich fragst. Dann spielte er eine Ewigkeit Klavier. Langweiliges Zeug. Cole Porter, glaube ich. „Anything Goes“. Und damit hat er wahrscheinlich recht. Aber danach sagte er nichts mehr, also habe ich abgeschaltet.«
    Wäre die Quelle verlässlicher gewesen, hätte ich das vielleicht geglaubt, aber dieses Bürschchen atmete gerne schwer ins Mikro und hätte alles gesagt, um mich ins Bett zu kriegen. Außerdem hielt ich Torwächter nicht für einen Musikliebhaber. Er war viel zu verliebt in den Klang seiner eigenen Stimme, um sich mit anderen Instrumenten abzugeben.
    Bronagh hielt noch eine Zeit lang Abstand zu uns, aber irgendwann sprachen wir wieder miteinander. Gegen Jim und Tomo gab es immer noch keine eindeutigen Beweise, aber die sexuellen Übergriffe und Morde hatten aufgehört. Und auch ohne Beweise wussten alle, dass diese Jungs schuldig waren. Jedes Jahr veranstaltete Jonno auf dem Marktplatz ein Benefizkonzert für die Familien der Opfer und lud Fiona und mich als Ehrengäste ein. Wir hatten zwar nur wenig Lust dazu, aber wir taten ihm den Gefallen. Er sagte mir immer noch, in seinem Pub warte ein Pint auf mich, und ich lehnte jedes Mal ab. Mrs. Crimmins, die alle Gäste aufnahm, die Tante Moira vergrault hatte, errichtete einen neuen Anbau und behandelte uns immer respektvoll. »Ich habe dem Kerl auch nie getraut«, sagte sie immer.
    Alles war also wieder so normal, wie das in einer Stadt wie der unseren möglich ist. Hätte das Ende der Geschichte werden können, was? Zwei verrückte Schwestern suchen unermüdlich nach ihrer verlorenen Schwester und versuchen, ihre liebende Timte zu vergessen. Schalt den Fernseher aus und geh schlafen. Wäre ein ziemlicher Scheißfilm gewesen.
    Zeit ist wirklich merkwürdig. Dehnt sich und zieht sich um dich herum zusammen. Unerklärlich. Denn fast auf den Tag genau drei Jahre nach Aoifes Brief lag ein weiterer in unserem Postfach. Der Umschlag war aus dickem Baumwollpapier, und die Absenderadresse lautete
    One Strand Street, Malahide, Co. Dublin.
    Es war von Aoifes Cottage weitergeleitet worden. Es stand kein Empfängername auf dem Umschlag, nur die Adresse. Diesen Brief öffnete ich gleich, ohne mich um die neugierigen Blicke der Umstehenden zu kümmern. Meine Lieben, begann er:
    ich hoffe, es geht euch gut. Ich will nicht lange um den heißen Brei herumreden, denn ich schreibe nicht gerne Briefe und will auch eure Zeit nicht verschwenden. Ich habe eindeutige Beweise dafür, dass ihr drei meinen fim ermordet habt. Ich will nicht, dass ihr ins Gefängnis kommt, denn ich habe anderes mit euch vor. Ich habe Krebs, und die Ärzte sagen, mir bleibt nicht mehr viel Zeit. Sie geben mir höchstens noch einen Monat.
    Mein Vorschlag: Ihr drei kommt nach Dublin und sorgt bis zum Ende für mich, denn sonst habe ich niemanden mehr. Erfüllt mir diesen letzten Wunsch, sonst leite ich alle Informationen in meinem Besitz an die Gardai weiter. Falls ihr mir nicht glauben solltet: Ich habe eine Probe beigelegt. Und ich habe noch mehr. Ihr habt nicht ordentlich hinter euch sauber gemacht. Meine Adresse findet ihr auf diesem Umschlag. Kommt, sobald ihr dies gelesen habt, sonst sehen wir uns das nächste Mal, wenn ich euch im Dochas-Gefängnis besuche, ihr Lieben.
    Dicke Küsse an euch alle, eure Tante Moira.
    Eine Probe? Wovon? Ohne nachzudenken, schüttelte ich den Umschlag. Der Reflex eines Kindes. Etwas fiel in meine Handfläche. Ein Gegenstand, den ich jedes Mal angesehen hatte, wenn ich meinen Lungen versprach, dass ich sie zum letzten Mal zum Husten bringen würde.
    Es war mein Feuerzeug mit dem Piratenschädel, das ich bei einem Pokerspiel gewonnen hatte. Die elende Frau hatte es in einen Gefrierbeutel gepackt, und es klebten kleine Erdklumpen daran. Ich konnte mich nicht einmal erinnern, dass ich es verloren hatte. Und bestimmt nicht daran, dass es neben einem Typen passiert war, den ich gerade erstochen hatte. Wann hatte ich es zuletzt benutzt? Ich versuchte, drei Jahre zurückzuspulen, und scheiterte. Aber ich bewahrte das Feuerzeug eigentlich immer in meiner Handtasche auf, und die hatte ich an jenem Tag bei mir getragen. Was hatte Tante Moira noch

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