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Darling Jim

Darling Jim

Titel: Darling Jim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mork
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von innen heraus zu leuchten.
    »Komm nie wieder hierher«, sagte sie freundlich, gab Gas und schoss auf dem Motorrad in Höchstgeschwindigkeit den Hügel hinauf. Binnen fünf Sekunden war sie verschwunden. Er blickte zurück auf die Straße und sah eine Nebelwand, die ihm nahezulegen schien, ihren Rat zu befolgen.
    »Keine Sorge, Aoife«, sagte er, lief weiter und ließ Castletownbere für immer hinter sich.

XXIII.
    Der Zug war so ausgestorben, dass Niall jedes Mal vor Schreck zusammenzuckte, wenn eine Ansage durch die Lautsprecher drang. Er döste vor sich hin, ließ Wölfe in seine Träume dringen und dort ihre Beute erlegen. Er fuhr auf und stieß sich den Kopf an der Fensterscheibe.
    »Nächster Halt: Thurles. Endstation: Dublin Heuston. Bitte beachten Sie, dass in diesem Zug kein Essen serviert wird. Danke, dass Sie mit Iarnr6d Eiream1 reisen.«
    So fühlt man sich also als Komplettversager, dachte Niall und schaute aus dem Fenster. Als er in Cork City angekommen war, hatten ihm zwei Euro für das Ticket nach Hause im letzten Zug des Tages gefehlt, und er musste sie sich auf der Straße beim Taxistand zusammenschnorren. Die Taxifahrer fanden seinen Anblick so erbärmlich, dass ihm einer das Geld gab. Im Gegenzug musste er versprechen, sich in dieser Gegend nie wieder blicken zu lassen. Vor Scham hatte er die Worte kaum über die Lippen gebracht, und der Kerl hatte gelacht, als er ihm die Münze zuwarf. Das schmerzte immer noch.
    Draußen raste die Landschaft vorbei und verwischte die abendlichen Bäume zu einem langen, schwarzen Vorhang. Draußen bewegte sich nichts, und Niall begann sich vorzustellen, dass Jims Märchenwelt hinter dem Horizont existierte, den er in der Dunkelheit nicht mehr erkennen konnte. Und warum nicht? Auch zwischen Funkmasten, Autobahnen und Tankstellen konnte doch etwas aus der Vergangenheit den Vorstoß des Fortschritts überlebt haben. Es musste sich nur gut genug verstecken. Das war doch durchaus möglich, nicht wahr? Das Versteck eines Wolfes oder ein goldener Saal, einer Prinzessin wie Aisling würdig. Womöglich sogar die geheime Werkstatt eines Zauberers, aus der uralte Beschwörungen und Zaubersprüche aus einer anderen Welt immer noch in die unsrige drangen.
    Ein Zauberer?
    Trotz seines geschwollenen Knöchels und seiner schmerzenden Glieder war Niall plötzlich hellwach.
    Direkt hinter seinen Augen flackerte ein Bild auf und versuchte, die Bereiche seines Gehirns zu erreichen, die noch nicht in Tiefschlaf verfallen waren. Hatte Roisin am Ende ihres Tagebuches nicht etwas Derartiges beschrieben? Sie hatte in einem Zug wie diesem gesessen (Niall stellte sich sogar vor, dass sie und ihre Schwestern sich auf genau dem Platz zusammengekauert hatten, an dem er selbst jetzt saß), als Aoife gestand, dass sie Jims Geldbeutel an sich genommen hatte, und sie die geheime Landkarte fanden.
    Sein nächster Gedanke traf ihn härter, als Donald Cremins Baseballschläger es vermocht hätte. Womöglich war Jims Landkarte gar kein reines Phantasieprodukt. Was wäre, wenn die »elektrischen Entladungen«, die aus dem Kopf und den Fingerspitzen des Zauberers gedrungen waren, keine Beschwörungen sein sollten, sondern dazu dienten, mit jemandem zu kommunizieren, den er nicht sehen konnte.
    Nein, das konnte doch nicht ... Niall riss das Tagebuch aus seiner Tasche und blätterte mit zitternden Händen zu der Seite vor, auf der er die Beschreibung gelesen hatte. »Eine männliche Gestalt«, hatte Roisin mit ihrer gezackten Schrift geschrieben, die »eine Art Transceiver bediente«. Und da war noch mehr gewesen, wie er sich erinnerte. Der Zauberer war in Wirklichkeit ein Prinz, dessen Beine von einem gefallenen Pferdeleib zerquetscht worden waren. Er wartete nur darauf, dass sein Bruder Euan ihn ohne jedes Mitgefühl tötete.
    Roisin hatte seinen Namen vergessen, aber Niall nicht. Denn Jim hatte allen immer wieder davon erzählt, in seinem Märchen über den verfluchten Wolfsmenschen Euan.
    Der Name des Prinzen ohne Beine war Ned.
    Niall wollte das Tagebuch gerade wieder zuklappen, als ein einzelnes, zerknittertes Blatt aus einer Falttasche hinten im Buch fiel, die ihm bisher noch gar nicht aufgefallen war. Das Stück Papier segelte langsam zu Boden.
    »Möchten Sie eine Erfrischung, Sir?«, fragte eine Stimme über ihm, als er sich gerade bückte, um es aufzuheben.
    Niall sah auf und blickte in die Augen einer jungen, schläfrigen Frau, die einen mit Kaffee und Brötchen beladenen Wagen schob. Auf

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