Darling Jim
blinzelte langsam und lief dann auf ihn zu. Euan hieb mit dem Schwert um sich, um die Vision zu vertreiben. Aber ohne dass die Schritte auf den Blättern ein Geräusch verursachten, schritt die Kreatur weiter, bis sie so dicht vor ihm stand, dass er die schwarzen Sprenkel in seinen honigfarbenen Augen erkennen konnte.
„So wirklich wie du“, sagte das Tier, ohne die Schnauze zu bewegen. Die Stimme hallte nur in Euans Kopf wider.
„Antworte mir: Hat dich das Leben, das du gestohlen hast, glücklich gemacht?“
„Verschwinde“, schrie Euan und hieb auf den Wolf ein, der seinen stümperhaften Vorstößen mühelos auswich und wie ein treuer Hund zurückkehrte.
„Haben dir die Morde an jungen Frauen und meinen Verwandten die Angst genommen?“ Der Wolf senkte jetzt den Kopf, und die Haare seines Fells stellten sich auf, als habe ihn der Blitz getroffen. Reißzähne, die so lang waren wie menschliche Finger, zeigten sich, als er die Lefzen nach oben zog.
„Ich bitte um Vergebung für all meine Sünden“, sagte Euan, doch in seinem Herzen verspürte er keine Reue.
„Du wirst für all die Leben bezahlen, die du ausgelöscht hast“, knurrte der Wolf, sprang Euan an und warf ihn auf den Rücken. Bevor er die Fänge an seiner Kehle spürte, hörte er die Stimme in seinem Kopf sagen: „Und ich verspreche dir, dass du wahre Furcht kennenlernen wirst. Du wirst lernen, was es heißt, durchs Land zu streifen und überall gehasst und verachtet zu werden. Du wirst erfahren, wie es sich anfühlt, gejagt und aus reiner Lust ermordet zu werden. Vergiss nur eines nicht: Du hast nur eine Möglichkeit, dein altes Leben zurückzugewinnen. Bringe jemanden dazu, dich trotz des Hasses für dein Wesen zu lieben und sich für dich zu opfern. Aber das kann dir nur gelingen, wenn du dein bisheriges Leben nicht völlig vergisst.“ Das Tier sah Euan an, drang durch alle Mauern, die dieser um sein Herz gebaut hatte, und erblickte seine dunkelsten Gelüste. „Vielleicht wirst du mich wiedersehen“, sagte der Wolf. „Vielleicht auch nicht. Es liegt allein an dir.“
„Was meinst du damit?“
Könnten Wölfe lächeln, hätte dieser es getan. Er drehte den Kopf fast kokett zur Seite und sagte: „Das wirst du schon merken im Lauf der Zeit.“
„Wie lange ... wird das dauern“, keuchte Euan. Er bekam kaum noch Luft.
Die Augen des Tieres brannten wie die Fackeln in der Nacht, in der er seinen Bruder getötet hatte.
„Das wissen nur Gott und die Parzen“, sagte er und biss zu. Der Schmerz in seiner Kehle überwältigte Euan, und ihm schwanden die Sinne.
Als er aufwachte, glaubte er, er sei im Himmel.
Lerchen zwitscherten, und die Sonne brannte ihm ins Gesicht.
Ein schrecklicher Traum, in dem ihm ein Wolf die Kehle durchgebissen hatte, schwirrte ihm durch den Kopf, verblasste aber schnell. Sehr vorsichtig öffnete er die Augen und sah, dass er immer noch im Wald lag, wo es inzwischen wieder Tag geworden war. Die Blätter rauschten lauter im Wind als sonst. Der Geruch von frisch geerntetem Getreide brannte ihm stärker als sonst in den Nüstern, und bevor er darüber nachdenken konnte, warum das so war, ließ ihn ein anderer Geruch beinahe in Ohnmacht sinken. Es war der Duft eines frisch getöteten Rehs, das irgendwo in der Nähe lag und dessen Blut salzig und durchdringend in die Hitze des Tages stieg. Er spürte, wie das Blut in seinen Ohren das Lied sang, dass er bisher erst einmal vernommen hatte: kurz bevor er seinen Bruder zu Tode trampelte. Das süße Rauschen kurz vor dem tödlichen Schlag.
„Da ist er!“, hörte er jemanden schreien. „Hierher!“
„Gott sei Dank“, sagte Euan, denn er hatte die Stimme seines erbarmungslosesten Jägers erkannt. „Ich habe darum gebetet, dass ... „
Er verstummte, denn aus seinem Mund kamen nicht die richtigen Laute. Er hörte nur eine Art sinnloses Gurgeln. Dann erinnerte er sich an den Biss des Wolfes und wusste, dass seine Stimmbänder wahrscheinlich verletzt waren. Er erhob sich. Bevor er seinen Jägern zuwinken konnte, surrte ein Pfeil in den Baum direkt neben ihm. Er zuckte zusammen.
„Padraic, ich bin's! Nicht!“, versuchte er wütend zu schreien, aber er brachte kein Wort heraus. Ein Reiter in schwarzem Leder preschte direkt auf ihn zu und schwang eine Keule. Euan rannte so schnell, wie er in seinem kurzen Leben noch nie gerannt war. Gott, sein Herz schlug so heftig in seiner Brust, als sei es dreimal so groß wie zuvor. Er hechtete mit einer Leichtigkeit über
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