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Darling Jim

Darling Jim

Titel: Darling Jim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mork
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besten Ausgehoutfit direkt vor ihm. Die Farbe ihrer Unterwäsche zu erraten war keine Kunst, aber das ist mit einkalkuliert, wenn man Hüftjeans und ein schwarzes T-Shirt, das nur knapp über die Brüste reicht, in eine Kneipe anzieht. Sie trug Schuhe mit Strassapplikationen, lächelte ihn an und klimperte mit ihren blau getuschten Wimpern. Ich hatte gesehen, wie sie in der Bank diesen Blick mit einem Taschenspiegel geübt hatte, wenn sie sich von den Kunden unbeobachtet fühlte. Sie war höchstens zwanzig, hübsch wie ein Frühlingsmorgen und dumm wie Brot. Ihre Ohrringe sahen aus, als hätte sie die Dinger von der Wand eines indischen Restaurants geklaut.
    Na gut, so schlimm war sie auch nicht, und es ist auch nicht besonders nett von mir, schlecht über die Toten zu reden. Verzeih mir, Heilige Jungfrau. Aber wenn ein Mädchen nicht mal eifersüchtig sein darf, wenn sie die wichtigste Geschichte ihres Lebens erzählt und wahrscheinlich selbst nicht mehr lange auf dieser Welt weilen wird, wann dann?
    Jim hatte jedenfalls nicht viel übrig für ihre aufdringliche Art, und er antwortete nicht nur ihr, sondern dem ganzen Publikum. Er drehte seinen Charme runter wie einen Dimmer, ließ Sarah im Dunkeln stehen und wandte sein Licht den anderen zu. »Alle wahren Geschichten haben einen Anfang, eine Mitte und ein Ende. Habt also Geduld«, sagte er, und das Girlie in der hautengen Jeans runzelte die Stirn. Die Frage war doch ganz simpel gewesen. Wahrscheinlich hatte noch nie ein Mann sie abgewiesen, vor allem dann nicht, wenn sie ihm in ihrem dämlichen Outfit ihre Haut vor die Nase hielt.
    »Ihr könnt mich in den nächsten Tagen in den Städten der Umgebung finden«, fuhr er fort und deutete auf den asiatischen Gentleman an der Bar. »Tomo dort ist mein ... nun, sagen wir Manager. Die verlässliche Kompassnadel, nach der sich mein bescheidenes Leben ausrichtet, was, Tomo?«
    Tomo wandte sich zum Publikum und lächelte ohne rechte Begeisterung. Ich hatte seine Jacke vorher für Jeans gehalten, aber nun sah ich, dass sie aus Wachstuch genäht war und Millionen kleiner Taschen für Angelzeug und Ähnliches hatte. Keine der Taschen war leer. Das Kleidungsstück hatte die Farbe eines Wintermaares. Mit einem Blick bedeutete Tomo Jim, jetzt endlich das Maul zu halten und sich zu verpissen. Keine Ahnung, warum. Ich erinnere mich noch, dass er auch mich kurz anstarrte, beachtete das aber nicht weiter. Als er merkte, wie viele Augen auf seinem olivfarbenen Gesicht ruhten, verneigte er sich theatralisch und streckte den Arm aus wie ein betrunkener Balletttänzer.
    »Das ist wahr, meine Damen, Herren, Mädchen und Jungen, die den Mut haben, den nächsten Teil der Geschichte zu hören«, sagte Tomo mit einer Stimme, die so kindlich sanft klang, dass sie mich aufhorchen ließ. Dieser Kerl verzichtete auf den aufgesetzten Akzent, der in Chinarestaurants so populär war. Seinem Dialekt nach hätte er auch direkt aus Castletownbere stammen können, auch wenn seine Performance eine billige Variante von Jims Show war. Tomo war wahrscheinlich erst fünfundzwanzig, aber er sah uralt aus, als hätten Schnaps und Zigaretten sein hohl-wangiges Gesicht seit seinem zehnten Geburtstag ausgedörrt. »Ich kann euch nicht genau sagen, wo wir uns aufhalten werden, aber es geht das Gerücht, dass die schöne Stadt Adrigole begierig auf unseren Besuch wartet, und zwar übermorgen Abend im Auld Swords Inn. Also strömt herbei, alleine oder zusammen. Und sagt allen Freunden Bescheid, die eine gute Schauergeschichte zu schätzen wissen.«
    Tomo schnappte sich einen alten grauen Filzhut und stülpte ihn sich auf den Kopf. Ich hörte, wie die Münzen darin klimperten. Dann schickte er Jim einen weiteren durchdringenden Blick und verbeugte sich.
    »Gut gesprochen, mein alter Freund«, krähte Jim und stürzte sein lauwarmes Bier hinunter. »Danke sehr. Und mit dieser wunderbaren Ankündigung, meine verehrten Damen und Herren, sagen wir Auf Wiedersehen.«
    Ich erhob mich von meinem Stuhl, bevor ich wusste, wie mir geschah.
    Jim folgte gerade seinem Manager zur Tür, als er mich entdeckte und stehen blieb. An Sarah McDonnels Kopf hätte man sich die Finger verbrühen können, sie kochte vor Wut. Jim flüsterte Tomo etwas ins Ohr, und der japanische Ire sah aus, als habe er ihm eine Ohrfeige gegeben. Er zischte Jim etwas zu, aber Jim brachte ihn mit einer Geste zum Schweigen. Im nächsten Moment schlenderte Jim in meine Richtung, und Tomo ging langsam aus dem

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