Darling Jim
Zigarette beinahe die Wange versengte. »Und wer würde sich dann um mich kümmern?«
Ich drückte ihr die Hand, antwortete aber nicht. Ich dachte daran, wie lange Tomo das gespürt haben musste, was auf ihn eingehämmert und ihn zu Tode geprügelt hatte, und nahm mir vor, mir Jims Fingerknöchel genauer anzusehen, falls ich ihn jemals wiedersehen sollte.
»Ich meine es ernst«, wiederholte Rosie, da sie merkte, dass ich nur genickt und ihr überhaupt nicht richtig zugehört hatte. »Fünf Minuten, Mädels«, sagte Evi und warf Rosie einen Blick zu, der sagte, dass es ihr ebenfalls ernst war.
»Jawohl, Frau Generalin, Sir«, sagte Rosie und grüßte mit ihrer Zigarettenhand. Dann drehte sie den Regler noch ein wenig nach links und wurde endlich belohnt.
» ••• aus meinem Schloss auf dem Hügel tief im Wald. Hört mich jemand?«, erklang der Fetzen einer Nachricht aus dem Äther. Es war die Stimme eines Mannes, und sie klang sehr beruhigend. Irgendwie war sie mir sehr vertraut, aber ich wusste nicht, woher.
»Hier ist Nightwing, tief im Arsch von Cork, und ich höre dich klar und deutlich«, bellte Rosie in ihr schwarzes, altmodisches CB-Funkmikro, das so groß war wie eine Handgranate.
»Welch eine Freude, auf eine so charmante Lady zu treffen«, fuhr die Stimme fort, während Rosie an ein paar Knöpfen drehte, um die Tonqualität zu verbessern. »Warum sitzt du in einer so lauen Sommernacht ganz alleine vor dem Mikrofon?«
»Essen fassen«, rief Evi und stellte die voll beladenen Teller auf den Tisch. »Sonst wird das Gemüse kalt.«
Ich signalisierte ihr, dass wir gleich kommen würden, begriff aber in diesem Augenblick, warum wir diesem Mann immer noch zuhörten, anstatt den Schalter umzulegen und ihn auszuschalten. Mein Opiumrezeptor, der Ort, den Jims Augen als Erstes berührt hatten, die geheime Stelle in meiner Seele, die mich gegen meinen Willen immer noch dazu trieb, nach ihm zu suchen, pulsierte heftig. Durch mein Herz strömten plötzlich flüssige Gummibärchen, und es pumpte mir diese wundervolle, tödliche Droge bis in die Fingerspitzen.
»Warum? Weil hier der Bär tanzt, Kumpel«, sagte Rosie, und ich hörte an ihrem Tonfall, dass es ihr gegen den Strich ging, wie dieser Funker das Protokoll missachtete, weil er seine Nachrichten nicht mit »Over« beendete. »Wie nennt sich ein so edler junger Mann, der in einem Schloss zu Hause ist? Over.«
Es folgte eine lange Stille. Ich dachte schon, wir hätten ihn verloren.
»Mädels«, drängte Evi, die bereits saß und demonstrativ mit ihrem Besteck klimperte.
»Habe ich mir noch gar nicht überlegt«, sagte der Mann schließlich mit einem leisen Lachen. »Nenn mich doch einfach ... Torwächter. Ja, das gefällt mir.«
Ich lauschte angestrengt. Die Konturen der Stimme waren nicht festzumachen, sie entzogen sich mir wie Wasser. Warum machte Rosie ihre Höllenmaschine nicht endlich aus? Die Stimme zog mich mehr und mehr in ihren Bann und brachte mein Blut in Wallung.
»Schön«, sagte Rosie. »Du sitzt also mitten im Wald, was? Ich muss los, meine Freundin hat das Essen fertig. Und sie wird mich in ein sibirisches Arbeitslager verfrachten, wenn es kalt ist, bevor ich komme. Over.«
»Es ist schon kalt«, sagte Evi, aber sie musste lachen. Meine dämonische Schwester schaffte das immer.
»Das hört sich gut an«, sagte der Mann, der sich Torwächter nannte. »Manche Dinge sollten nämlich in den Wäldern blei ... « Ein Popsender aus Kerry störte die Übertragung mit einem melodischen Heulen, dann war die Stimme wieder da. » ... sichtig sein, wenn ihr mit attraktiven Männern redet, die Geschichten erzählen.«
Ich riss Rosie das Mikro aus der Hand und schaltete es ein. »Was hast du gesagt? Männer, die Geschichten erzählen? Warum vorsichtig?« Mir war, als hinge von seiner Antwort mein Leben ab.
Eine weitere Pause, dann verschwand das Signal wieder zwischen den Radiosendern, die um unsere Aufmerksamkeit buhlten.
»Bist du noch da?«, schrie ich fast. »Torwächter?«
»Vorher war eine andere Frau da, oder?«, fragte der Mann.
Seine Stimme klang jetzt viel ferner, als komme die Übertragung aus einem tiefen digitalen Brunnen. »Aber mir gefällt deine Stimme. Dir ist die Antwort wichtig, das merke ich. Du solltest wissen, dass diese Geschichtenerzähler deinen Blick auf alles lenken, nur nicht auf das, was sie in ihrem Inneren verbergen. Sie gewinnen dein Vertrauen und geben dir das Gefühl, all ihre Geschichten seien nur für dich
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