Darling Jim
hinausging, gehörte immer noch Jim. Trotz allem, was ich erfahren hatte.
Also holte ich tief Luft, bog um die Ecke und betrat das Haus. Im Wohnzimmer war es still, nur die Scheiben der Panoramafenster, die auf die Bucht hinausgingen, ächzten leise im Wind. In der Bucht sah ich Segel, weiße Servietten auf Neptuns blauer Tischdecke. Ich verharrte einen Moment, um meine schreckliche Aufgabe hinauszuzögern, aber dann machte ich mich auf den Weg zur Treppe.
»Hallo«, versuchte ich es noch einmal, bekam aber nur ein erneutes Knallen der Tür als Antwort. Auf halbem Weg die Treppe hinauf fiel mir siedendheiß ein, dass ich völlig schutzlos war. Ich hatte nicht einmal ein lumpiges Küchenmesser mitgenommen, und die gruselige Flinte meines Vaters lag immer noch gemütlich in meinem Bett. Ich wühlte in meiner Handtasche nach meinem Schlüsselbund, den ich als eine Art Schlagring benutzen konnte, als ich eine Stimme hörte, die direkt aus dem Jenseits kam.
Es war eine Frauenstimme, und sie fragte: »Was zum Teufel machen Sie hier?«
Ich hob den Kopf und blickte in die Augen einer vom Duschen noch nassen Kelly, die mit der einen Hand ihren riesigen Bademantel zuhielt. Mit der anderen umklammerte sie eine schwere Holzschüssel.
Vor lauter Überraschung und Erleichterung darüber, dass ich heute nicht noch eine Leiche sehen musste, begann ich strahlend zulächeln.
»Ich, äh ... die Tür war offen, deshalb ... «
»Das liegt daran, dass ich sie aufgemacht habe. Frischluft. So funktioniert das.« Ihre Stimme war so hart wie ihre Kiefermuskeln, aber als sie einen Schritt auf mich zu machte, sah ich, dass ihr die Knie zitterten. »Und Sie sind hier nicht eingeladen. Also beantworten Sie meine Frage, oder ich knalle Ihnen das Ding hier an den Schädel.«
Ich wich nach unten zurück und versuchte, so ruhig wie möglich zu antworten, obwohl auch mir jetzt die Knie zitterten. »Mein Name ist Fiona Walsh, ich bin Lehrerin in Castletownbere.« Kellys Miene veränderte sich nicht, und sie machte zwei weitere Schritte auf mich zu. Meine kurze Freude darüber, dass mir der Anblick von geronnenem Blut erspart geblieben war, wich einer Angst, die ich nur von dem Tag kannte, an dem man mich und meine Schwestern mit versengten Schuhsohlen aus unserem brennenden Haus gezerrt hatte. »Kennen Sie die Sacred-Heart-Schule? Direkt hinter der Kirche?«
»Und da werden Sie so mies bezahlt, dass Sie bei anderen Leuten einbrechen müssen, habe ich recht?« Sie holte aus und schlug mit der Schüssel nach mir. Ich duckte mich, verlor das Gleichgewicht, fiel rücklings die letzten Stufen hinunter und knallte mit dem Kopf auf die auf Hochglanz polierten Kirschholzdielen.
»Nein«, krächzte ich. »Das ist ein Missverständnis.«
»Du bist hier das Missverständnis, egal, wie du wirklich heißt.« Kelly war fuchsteufelswild, und ich spürte, wie sie mich umkreiste, um mir noch einen Schlag zu verpassen, während ich am Boden lag. »Glaubt ihr räudigen Illegalen eigentlich, gesetzestreue Bürger sind eure privaten Bankautomaten? Wie heißt du richtig, na? Sweta? Valerija? Nein, ich weiß es. Du bist vom fahrenden Volk, und dein Wohnwagen steht irgendwo im Norden, stimmt's? Ich dachte, ihr wärt ausgestorben, seit es Handys gibt.«
»Ich wollte nur nachschauen, ob es Ihnen gut geht«, sagte ich, setzte mich halb auf und rieb mir den Kopf. »Das ist die Wahrheit, das schwöre ich. Rufen Sie doch die Polizeiwache von Castletownbere an, wenn Sie mir nicht glauben. Fragen Sie nach Bronagh.«
Kelly blinzelte und zurrte an dem Frotteegürtel ihres Bademantels, der wahrscheinlich ihrem festen Freund gehörte, dem sie gestern Nacht Hörner aufgesetzt hatte. Sie war süß. Jim hatte Geschmack, das musste ich ihm lassen. Wieder schwang sich meine Eifersucht auf den Fahrersitz und warf alle Vorsicht und alles Rechtsempfinden aus dem Fenster. Zum ersten Mal an diesem Tag bekam ich Lust, ihr in den mageren Arsch zu treten und sie höchstpersönlich ins Jenseits zu befördern.
»Ob es mir gut geht? «, fragte sie.
»Ja. Nach gestern Abend. Ich habe gesehen, wie Sie mit jemandem nach oben gegangen sind. Und ich dachte einfach ... « Mir fiel ein, wie sie geschrieen hatte, als Jim es ihr ordentlich besorgte. Das Blut schoss mir in die Wangen. Auf einmal kam ich mir sehr dumm vor und schämte mich zu Tode. Hätte ich doch bloß auf Bronagh gehört.
Sie runzelte die Stirn, setzte sich und legte die Schüssel auf ihren Schoß. Einen Augenblick lang sahen wir
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