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Darling Jim

Darling Jim

Titel: Darling Jim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mork
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Bett Harold ihr Leben ruiniert hatte.
    »Er ist ein so angenehmer Gast«, zwitscherte unsere total verknallte Tante und lächelte mich über ihren Teller Hähnchen-Cordon bleu a la Jim hinweg an. Ihre Hand drückte besitzergreifend seinen Oberarm. Er ließ es sich gefallen und starrte ihr im Gegenzug mit dem Blick in die Augen, der Frauen von Mizen Head bis Kenmare vergessen ließ, wie ihre Ehemänner aussahen.
    »Ich hatte keine Lust mehr darauf, ständig von Pension zu Pension zu pilgern«, erklärte Jim und streichelte Moiras Hand. Meine Schwestern bemühten sich nach Kräften, nicht in meine Richtung zu blicken und meine Reaktion zu beobachten. »Und eure Tante hat sich bereiterklärt, mich aufzunehmen, wenn ich ein bisschen im Haushalt helfe. Das ist doch ein fairer Deal, stimmt's?«
    Bestimmt, dachte ich. Wie deine Hilfe aussieht, weiß ich ganz genau.
    Und ich weiß, dass du das weißt, schien sein Blick mir zu signalisieren, während er an seinem Wein nippte. Aber wir beide wissen auch, dass dir niemand glauben wird.
    Die folgenden Wochen waren die reinste Qual.
    Ich will kein Mitleid, und ich bin auch keine Heulsuse, das habe ich ja schon gesagt. Aber du kannst dir sicher vorstellen, wie surreal es war mitanzusehen, wie meine mausgraue Tante ihr Trauerkloßimage ablegte und wieder das Selbstbewusstsein an den Tag legte, das die Harolds dieser Welt ihr genommen hatten. Jim brauste weiterhin auf seiner wunderschönen Vincent durch die Dörfer, um Publikum zu suchen, das ihn fürs Geschichtenerzählen bezahlen wollte. Aber er kam jeden Abend nach Hause zu meiner Tante zurück.
    Und bald wurde Zimmer Nummer fünf wieder zum Liebesnest. Jim schälte unsere Tante aus ihrem neuen Kleid und der neuen Unterwäsche und stellte von da an seinen Rucksack und seine Isomatte in ihrem Schlafzimmer ab.
    Ich muss gestehen, dass ich einmal vor ihrem Schlafzimmerfenster stand und lauschte. Ich wollte herausfinden, ob er ihr die gleichen Laute entlockte wie mir damals. Aber ich hörte nur ein leises Murmeln. Ich kroch so nahe heran, bis mein Ohr fast die Hausmauer berührte. Dann verstand ich. Die beiden trieben es gar nicht wie die Verrückten, jedenfalls noch nicht. Jim verführte meine Tante auf eine noch viel wirkungsvollere Art.
    Er erzählte ihr eine Geschichte.
    Die früher so gähnend langweiligen Freitagsessen verwandelten sich in wöchentliche Galashows, bei denen Moira immer weiter ausgeschnittene Kleider trug und sich mit dem guten Schmuck unserer Mutter ausstaffierte. Sie war jetzt so mager wie ein Model, und Jim strahlte sie an wie ein stolzer Ehemann. Jedes Mal, wenn er in ein Steak schnitt oder seine wunderbare gedämpfte Mandelforelle entgrätete, schaute ich auf seine um den Messergriff geschlossenen Finger und dachte an Tomo, Mrs. Holland und die kleine Sarah McDonnel1. Die Monate gingen ins Land, es gab keine neuen Horrormeldungen, und alles Misstrauen, das ihm damals entgegengebracht worden war, verschwand allmählich aus den Köpfen der Stadtbewohner. Nur aus meinem nicht.
    »Vergiss es doch endlich«, stöhnte Aoife eines Abends, als wir in ihrer Küche Tee tranken. »Ich habe es auch geschafft. Wenigstens hast du es einmal voll auskosten dürfen.« Sie versuchte, tapfer zu klingen, aber ich merkte, dass sie immer noch ein klein wenig neidisch auf mich war. Ihr gut aussehender Footballer hatte vor ein paar Wochen endgültig die Stadt verlassen und war zu seiner magersüchtigen Ehefrau ins schöne Dalkey zurückgekehrt.
    »Sollte ich vielleicht«, räumte ich ein. Mir fiel auf, dass sie an ihrem Haar zerrte, was hieß, dass sie genervt war. »Es ist nur irgendwie ... komisch, dass er genau zu dem Zeitpunkt zu Tante Moira gezogen ist, als die Morde aufhörten.«
    »Meine Güte, du führst dich auf wie Miss Marple.« Ihr Gesicht, das schon immer eine Spur kantiger als Rosies Feenlärvchen gewesen war, bekam einen leicht verbitterten Ausdruck. »Dein Chinamann wurde wahrscheinlich von einem Auto angefahren. Sarah wurde von der armenischen oder ukrainischen Gang erledigt, die sich auch letztes Jahr schon hier herumgetrieben hat. Und Mrs. Holland ist im Schlaf gestorben. Okay?«
    »Okay«, sagte ich, und wir wussten beide, dass ich log.
    Ich bin nicht stolz darauf, aber bald begann ich, jeden Freitagabend im Haus meiner Tante herumzuschnüffeln.
    Ich nutzte jede Gelegenheit, um mich nach oben zu schleichen und Jims Sachen zu durchsuchen. Das war nicht leicht, da er ja wusste, was in meinem Kopf vorging. Ich

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