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Darling Jim

Darling Jim

Titel: Darling Jim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mork
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allein erfunden worden. Schenke ihnen keinen Glauben.«
    »Ich habe einen kennengelernt«, gab ich zu, ohne zu verstehen, warum diese Worte meinen Mund verließen. Ich schwöre euch, ich kam mir vor wie bei der Beichte. Allerdings hätte ich am liebsten ins Radio gegriffen und diesen Mann berührt, und das war mir bei Father Malloy noch nie passiert - den hätte ich nur mit Gummihandschuhen angefasst. »Ich habe Angst, dass er ... «, ich legte eine Pause ein und spürte, dass Torwächter den Atem anhielt und lauschte. »Ich glaube, er hat Frauen etwas angetan. Nicht nur ihre Gefühle verletzt, sondern auch ihre Körper.«
    »Ich verstehe«, sagte die Stimme ohne einen Hinweis darauf, was er von meiner Beichte hielt. In dem niedrigen Raum war es so still geworden, dass ich das Ticken von Rosies Armbanduhr und das Zischen der abkühlenden Pfanne im Spülbecken hörte. »Er hat dich bereits geküsst, stimmt's? So arbeitet er. Und wenn er es geschickt angestellt hat, durfte er auch die Nacht mit dir verbringen.« Die Stimme klang jetzt drängend, aber nicht urteilend. »Vergesst ihn, egal, wer ihr seid. Lebt euer Leben weiter. Er wird euch nichts Gutes bringen.«
    Rosie und ich sahen uns an wie zwei Kinder, die glauben, gerade einen Geist gesehen zu haben.
    »Ach, hör doch auf«, sagte das am wenigsten spirituelle GruftiMädchen, das ich kenne, und riss mir das Mikro aus der Hand. »So einen Bullshit habe ich ja noch nie gehört, Torwächter. Hast du dir eine fette Tüte eingebaut und zu lange auf dein Hexenbrett gestarrt? Over.«
    »Wie ihr wollt«, sagte der Mann, während sich die elektronischen Vorhänge langsam über unsere kleine Seance senkten. »Vielleicht sind das nur Hirngespinste.« Ein letztes Aufflackern des Signals, und plötzlich ertönte seine Stimme so klar und deutlich aus den Lautsprechern, als säße Torwächter leibhaftig auf dem Sofa und starre mich an.
    »Aber wenn er anfängt, von Liebe zu sprechen«, sagte er, »dann lauft um euer Leben.«

XII.
    Im Rückblick erscheint mir alles, was bis zu diesem Abend geschah, einigermaßen erträglich, so verrückt das auch klingen mag.
    Aber als wir am Freitag wie immer bei Tante Moira zum Abendessen antraten, sollte sich unser Leben für immer verändern.
    An jenem Abend blieb ich noch eine Weile bei Rosie, aß Evis köstliches Essen, lachte über die Witze meiner Schwester und tat so, als wäre ich endgültig über meine Besessenheit mit fahrenden Bänkelsängern, die womöglich Serienkiller waren, hinweg. Aber während ich Mais und Lachs kaute, musste ich mich stark zusammenreißen, um nicht aufzuspringen, mich noch einmal vor das Kurzwellengerät zu setzen und die hypnotische Stimme aus dem dunklen Wald erneut aus ihrem Versteck zu locken. »Ach, das war ein einsamer Perversling, der in seiner Sozialwohnung hockt und zu viel Zeit hat«, spottete Rosie und schnitt eine Grimasse. »Ooooh, gruselig. Als würde er Jim kennen, und dann gibt er sich noch einen Namen, der an die schwarzen Tore der Burg aus Jims Märchenwelt erinnert. Also bitte. Ein ganz billiger Erzählertrick. Wahrscheinlich ist er Beamter oder ein ganz kleiner Angestellter. Und ein Schloss kommt nun mal in allen Märchen vor. Willst du noch ein paar Erbsen?«
    Aber ich wusste es besser.
    Und Evi ebenfalls, aber sie war so klug, ihre Meinung für sich zu behalten. Sie drückte sanft Rosies Hand, während meine Schwester ihre brennende Zigarette wie eine geladene Waffe vor sich hielt und darüber witzelte, wie naiv ihre Schwester, die ach so kluge Frau Lehrerin, doch sei. Sowohl Evi als auch ich hatten gehört, dass hinter der Warnung eine verborgene Nachricht aus dem tiefen, dunklen Wald lag, den ich am liebsten wieder aus meiner Phantasie verbannt hätte.
    Die folgenden Tage wuchsen sich für mich zu einem Spießrutenlauf aus, denn die ganze Stadt lachte darüber, wie ich Jim und Tomo verfolgt hatte. Ich stellte mich weiterhin sterbenskrank, während mich jeder, dem ich begegnete, viel zu breit angrinste und sich Father Malloy beinahe verschluckte, als er mir einen guten Morgen wünschte.
    Aber das war nichts gegen die Verachtung, die mir von meinen Fünftklässlern entgegenschlug.
    »Mrs. Harrington wusste viel zu wenig über die Zweite Dynastie«, meckerte die kleine Mary Catherine Cremin, als ich endlich wieder in der Schule auftauchte, und dabei warf sie mir einen Blick zu, der Blumen zum Welken gebracht hätte. »Ich habe hier eine Liste, auf der steht, was wir alles hätten lernen

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