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Darling Jim

Darling Jim

Titel: Darling Jim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mork
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sollen, seit Sie ... krank wurden. Vertretungslehrer sind einfach nicht dasselbe.«
    Sie legte eine sauber ausgedruckte Liste auf das Lehrerpult und lächelte mich so zuckersüß an, dass ich ihr am liebsten eine gescheuert hätte. Meine Vertretung musste schrecklich gelitten haben. Und seitdem halfen weder Tadel noch die Drohung, David bei der Rektorin zu melden, wenn er den Mädchen noch einmal ihre iPods klaute.
    Und ich war nun für alle Zeiten als »das Flittchen, das den Tramp mit dem coolen Motorrad gevögelt hat« abgestempelt.
    Finbar hatte aufgehört, mich mit SMS zu bombardieren, und nickte mir auf der Straße nur noch so verächtlich zu, als hätte ich Lepra. Ansonsten badete er sich im Mitgefühl seiner Seniorinnen mit den blau getönten Haaren, die sich in der Lobster Bar herumtrieben.
    Ich durchsuchte natürlich weiterhin die Zeitungen nach Nachrichten von Jim. War noch jemand in einer gottverlassenen Kleinstadt eines verfrühten Todes gestorben? Aber ich fand keine Zeile über junge, vergewaltigte und erwürgte Mädchen, sondern nur Artikel über blasse Lottogewinner aus Clonakilty und den Ausnahmesommer, den wir dieses Jahr erleben durften. Ich traute mich nicht, Bronagh zu fragen, aber inzwischen sah es so aus, als sei alles wieder genau so wie vor dem Tag, an dem die rote Vincent Comet 1950 in meine Stadt gedonnert war.
    Das heißt, wenn man von meiner Tante absah.
    Erstens sah sie aus, als hätte sie abgenommen, und sie trug wieder Stöckelschuhe. Aoife hatte sie beim Friseur gesehen, wo sie sich Strähnchen färben ließ. Als eine Kassiererin im Supermarkt sie fragte, ob es Neuigkeiten gebe, hatte sie nur schweigend gelächelt. Und sie rief uns alle einzeln an, um uns zum Abendessen am Freitag zu verpflichten.
    »Hallo, meine Süßen«, flötete sie, als sie die Tür öffnete und uns ins Haus ließ. Aoife und ich hatten uns gerade auf die übliche Weise versöhnt: Wir machten Witze über Finbar, der uns inzwischen alle nicht mehr grüßte. Wir betraten das Haus mit Rosie im Schlepptau. Ein fremdartiger Geruch stieg uns in die Nüstern, die hier sonst nur verbranntes Fleisch und verkochtes Gemüse gewohnt waren. Und ich muss zugeben, es roch wundervoll. Nach Hühnchen und Steak und exotischen Gewürzen in einer Sauce, die für Beschreibungen zu raffiniert war. Wäre alles wie früher gewesen, hätte ich meine Schwestern abgehängt und wäre an den Statuen vorbei ins Esszimmer gesprintet. Aber nichts war wie früher.
    »Was gibt es denn heute, Tante Moira?«, fragte Rosie zuckersüß.
    »Habt ihr Appetit mitgebracht?«, war die einzige Antwort, die sie bekam. Und ein Lächeln, das geheimnisvoller war als das der Sphinx.
    Am Tisch stand ein zusätzlicher Stuhl. Neue Kristallgläser zierten die gestärkte weiße Tischdecke, und Moira hatte das Zimmer so sauber geputzt wie einen Operationssaal. Als wir uns setzten, warf mir Aoife einen vollkommen verwirrten Blick zu. Sie verstand die Welt nicht mehr. Rosie starrte unserer Tante, die grinsend aus dem Zimmer verschwand, um sich auf ihren großen Auftritt vorzubereiten, mit offenem Mund nach.
    »Was geht denn hier vor?«, zischte mein Teufelsbraten, den Moiras neues Selbstbewusstsein vollkommen aus dem Konzept brachte. Ihre Instinkte funktionierten einwandfrei. Es war schlichtweg beängstigend, wie energiegeladen Moira plötzlich war. Ihr Verhalten wirkte fiebrig und nicht von dieser Welt.
    »Keine Ahnung«, flüsterte Aoife und berührte eine Spitzenserviette, die so neu war, dass das Preisschild noch daran klebte. »Aber ich glaube, ich muss nicht mehr so tun, als würde mir ihr Essen schmecken.«
    Wir hörten Schritte im Flur und das Zischen von heißem Essen in einer Pfanne. Meine Schwestern und ich lehnten uns erwartungsvoll nach vorne. Ich schwöre dir, es war wie in einer Zaubershow, in der gleich ein Elefant verschwinden wird. Es fehlte nur noch der Trommelwirbel.
    Jim erschien in der Tür. Er trug zwei Pfannen mit dem köstlichsten Essen, das ich je gesehen hatte. Seine Knöchel waren zerkratzt und angeschwollen, er versuchte gar nicht erst, sie zu verbergen.
    »Da seid ihr ja wieder, Ladys«, sagte er mit seinem Wolfsgrinsen. Aber die Einzige, die er dabei ansah, war ich.
    Jim war immer allen einen Schritt voraus.
    Ohne dass es jemand gemerkt hätte, hatte er sich Anfang der Woche bei Tante Moira eingemietet. Und um der Ironie die Krone aufzusetzen, hatte sie ihm den Schlüssel zu Nummer fünf gegeben, dem Zimmer, in dessen knarrendem alten

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