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Darling Jim

Darling Jim

Titel: Darling Jim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mork
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rannte also immer »aufs Klo«, wenn er gerade in der Küche beschäftigt war. Bald verfügte ich über die gleiche Geschicklichkeit, die ich bei Tomo beobachtet hatte, öffnete Schränke, lüftete Pullover, durchsuchte Taschen und schloss sie wieder, ohne eine Spur zu hinterlassen. Das Ganze entwickelte sich beinahe zu einem Spiel, aber nicht ganz. Denn ich hatte eine ziemlich genaue Vorstellung davon, was mir blühen würde, falls Jim mich erwischen sollte.
    Anfangs blieb meine Suche ziemlich ergebnislos.
    Ich fand Restaurantrechnungen, Telefonkarten, zerknüllte Kaugummipapiere mit den Telefonnummern von Frauen und ein paar Kugelschreiber. Nichts, was darauf hingedeutet hätte, dass er mehr war als ein wandernder Frauenheld.
    Aber ich blieb geduldig. Fast einen Monat lang verhielt ich mich völlig unauffällig, ertrug täglich die kleinen Monster in der Schule und aß jeden Freitag pflichtbewusst Jims hervorragendes Essen. Und das alles, ohne ihm auch nur einen einzigen misstrauischen Blick zuzuwerfen. Ich hatte mich davon überzeugt, dass er mich nicht mehr als Bedrohung betrachtete, denn seine Blicke wurden wieder freundlich, beinahe brüderlich. Das bedeutete, dass ich jetzt hin und wieder volle zwei Minuten am Stück Zeit dafür hatte, alle Winkel des Schlafzimmers zu durchstöbern, Matratzen und Teppiche hochzuheben und unermüdlich weiter nach einem Beweis dafür zu suchen, dass der Verdacht, den ich in meinem Herzen hegte, nicht nur ein Hirngespinst war.
    Das erste Indiz, dass Jim den fürsorglichen Liebhaber nur spielte, erhielt ich eines Abends, als er den Flur im oberen Stock entlangging. Ich befand mich in einem der Gästezimmer, aber er bemerkte mich nicht. Im Flur hing ein großer Spiegel mit Goldrahmen, der von Kerzen flankiert war. Er blieb vor dem Glas stehen und beugte sich ganz dicht zu seinem Spiegelbild vor. Dann bleckte er die Zähne und zog die Lippen so weit zurück, dass nur noch die Schneidezähne und sein rotes Zahnfleisch zu sehen waren. Ohne zu blinzeln, stand er einfach nur da und bewunderte sein Gebiss, die Augen hatte er zu schwarzen Schlitzen verengt. Atemlos linste ich durch den Türspalt von Nummer sieben und beobachtete ihn. Und ich erinnerte mich daran, was er damals sein Publikum in dem Pub in Adrigole gefragt hatte:
    Wird er sie lieben oder töten?
    Eines war sicher: Er hatte nicht auf Liebe gewettet.
    Weitere Wochen vergingen, und unsere Stadt wurde lediglich von Touristen heimgesucht, die alle Straßen mit ihrem Müll und ihren leeren Bierflaschen verzierten.
    Und als dann eines Freitagabends Jim und meine Tante knutschend vor der Tür standen, fand ich endlich, was ich suchte.
    Ich hatte bereits die Zimmer Nummer fünf, sieben und neun durchsucht und nur ein benutztes Kondom gefunden. Im Hauptschlafzimmer hing nur Jims Lederjacke über einem Stuhl, als warte sie darauf, dass James Dean höchstpersönlich von den Toten auferstand. Ich wollte gerade wieder gehen, als ich auf die Idee kam, die versteckte Innentasche zu durchstöbern, die, wie ich wusste, ins Rückenfutter eingenäht war. Dort hatte er in unserer gemeinsamen Nacht seine Zigaretten aufbewahrt. Ich lauschte nach Schritten auf der Treppe, hörte aber nur Tante Moiras mädchenhaftes Kichern von unten. Ich wusste, dass mir noch mindestens dreißig Sekunden blieben.
    Ich zog den Reißverschluss auf und steckte zwei Finger in die Tasche.
    Sie berührten kaltes Metall, und ich zog etwas Goldenes, Klimperndes heraus, das ich zuletzt an den Ohren einer toten Frau gesehen hatte.
    Sarah McDonnells fehlender Ohrring.
    Ich hielt ihn so lange in der Hand, bis ich sicher wusste, dass der neue Freund meiner Tante, das Objekt meiner geheimsten Begierden, ein eiskalter Killer war. Einen Moment lang überlegte ich, ob ich den goldenen Ring in meine eigene Tasche stecken sollte. Aber Jim würde sofort merken, dass er fehlte. Also steckte ich ihn so leise als möglich wieder zurück, ging nach unten und setzte ein der Gelegenheit angemessenes Lächeln auf. Nur Roisin bemerkte meine ausdruckslose Miene und erriet, dass sich darunter etwas Hässliches verbarg.
    Später halfen meine Schwestern meiner Tante beim Kaffeemachen, und ich war mit Jim alleine.
    Ich kehrte ihm den Rücken zu, arrangierte Löffel auf Untertassen und versuchte, mich ganz normal zu verhalten. Plötzlich spürte ich seinen Atem in meinem Nacken. Und wenn ich ehrlich sein soll, verspürte ich sowohl Angst als auch Erregung. Denn trotz allem, was ich inzwischen

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