Darling
„In die Hochleistungstechnologie des Internets ist doch nur deshalb so schnell so viel Geld gesteckt worden, weil Menschen bereit sind, für Sex zu zahlen.“
„Männer“, hatte Adrian ihn damals lakonisch korrigiert.
„Männer. Nicht Menschen.“
Auf die Filme, die Enzo so anmachten, war Adrian bei privaten Surftouren durchs Web immer mal wieder gestoßen. Doch die Fotos und Videos stießen ihn ab. So müssen sich Metzger fühlen, wenn sie morgens um vier zur Fleischbeschau im Schlachthof eintreffen. Die Faszination der meist zehnsekündigen Pornoclips erschloss sich Adrian einfach nicht. Vielleicht weil er mit Annika zusammen war?
„Kuck doch mal“, Enzo hatte ihn damals leidenschaftlich aufgefordert, hinzusehen. „Hier. Der Clip ist von der DarlingProduktion. Die Videos sind irgendwie anders, interessanter. Sex an ungewöhnlichen Orten“, schwärmte Enzo. „Oder wie du immer so schön sagst, ‚künstlerisch wertvoll’, Herr Ästhet.“ Enzo klang spöttisch amüsiert. Dann drückte er spontan die Play-Taste.
„Die Tante dürfte deine Kragenweite sein. Du hast mir doch mal erzählt, dass du auf coole Frauen mit erotischen Stimmen stehst. Und die hier hat’s meiner Meinung nach voll drauf.“
Adrian sah hoch und versank für Sekunden in den graublauen Augen einer dunkelhaarigen, streng frisierten Domina. Als sie lasziv den Blick senkte und die Peitsche hob, hatte Adrian genug. Hastig hatte er damals nach der Maus gegriffen und wütend das Video gestoppt.
„Spinnst du!“ Enzo war total sauer. „Jetzt wird es doch gerade erst interessant, du Blödmann.“
„Du hast es immer noch nicht begriffen. Das interessiert mich nicht.“ Adrian fühlte sich sichtlich in die Enge getrieben.
„Eh, Kumpel, ich steh da echt nicht drauf. Lass uns lieber ’ne Runde Counter-Strike spielen. Das bringt mehr Laune.“
Enzo spürte, dass er einen Tick zu weit gegangen war, und lenkte bereitwillig ein. Zum einen, weil er keinen Zoff mit seinem Freund haben wollte. Zum anderen, weil Adrian wirklich ein ausgesprochen guter Schütze war, mit dem man jederzeit ein paar Ego-Shooter-Fights locker aus der Hüfte gegen jeden feindlichen Clan gewinnen konnte.
10
Die nackte Frau im Aquarium zeterte unerbittlich, und ihre hohe Stimme überschlug sich vor Zorn.
„Alex … Herr Paul, so entsteht definitiv keine Spannung. Wenn mir zu kalt ist, kann ich mich nicht auf die Szene konzentrieren. Und mir ist es hier zu kalt! Clara, bitte. Du verlangst, dass ich echt wirke. Kein Orgasmus-Fake. Schon der Geruch hier unten ist grauenhaft. Macht endlich das eiskalte Wasser wärmer. Sonst kann ich mich nicht entspannen! Wenn ihr schon in dieser Gruft einen Waterbondage-Film produzieren müsst, dann sorgt verdammt noch mal für professionellere Bedingungen!“
Die Frau, die die Darstellerin mit Clara angesprochen hatte, drehte sich zu dem Hünen in Leder-Outfit um. Mit ihrer faszinierenden Stimme, die Adrian mittlerweile vertraut in den Ohren klang, herrschte sie ihn kurz angebunden an: „Erik, warum ist das Wasser so kalt?“
„Nicht meine Baustelle“, zuckte der Angesprochene die Achseln. „Ich bin Darsteller, kein Produktionsassi!“
„Wir haben mehr Licht gebraucht, die Fackeln haben einfach nicht ausgereicht“, unterbrach ihn einer der Kameramänner. „Wir haben die Steckdosen für die zusätzliche Beleuchtung gebraucht und deshalb die Wasserheizung vom Strom abgehängt.“ Der Kameramann war sichtlich genervt. „Mann, wer kann ahnen, dass die Tante gleich beim ersten harten Dreh so rumzickt?“
„Stellt sofort den Strom für die Wasserheizung wieder an“, schnauzte der Mann, den die gefesselte Blondine mit Herr Paul angefleht hatte, die beiden Kameramänner an.
Lustlos drehte der Kleinere der beiden sich um und hob den Stecker aus einer Wasserpfütze. „Wo ist bloß das verdammte Verlängerungskabel?“ Suchend blickte er zwischen den Metallverstrebungen des Gerüsts über den schwarz geteerten Boden. Diese wahnsinnig exzentrischen Drehorte nervten.
„Können wir nicht mal wie ganz normale Pornoproduzenten in schönen Hotels mit hübschen Pools drehen?“, knurrte der zweite Kameramann Clara an.
Eisig erwiderte sie seinen Blick und schaute auf ihre Uhr. Im Prinzip wäre das ihr Dreh, wenn nur der Taxifahrer nicht so spät gekommen wäre. Dann wäre sie in fünf Minuten fertig gewesen und hätte jetzt schon entspannt am Büffet sitzen können.
Als sie aufschaute, flackerte für eine Sekunde das Licht der
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