Darling
her. Seitdem ging das Leben dort in den immer gleichen überschaubaren Bahnen seinen Gang.
Als Adrian vor Karls Haus bremste und hinter seinem eigenen Taxi zu stehen kam, war es bereits halb zwölf. Wahrscheinlich schlief der arme Kerl längst tief und fest. Machte es wirklich Sinn, einen kranken Mann um diese Uhrzeit aus dem Bett zu klingeln? Oder sollte er nicht einfach den Wagen vor der Tür parken und den Autoschlüssel in den Briefkasten werfen?
Adrian zögerte. Warum sollte er Karl aufwecken? Um ihm die Story aus dem Klärwerk zu berichten? Nirgendwo im Haus brannte Licht. Wahrscheinlich lag er völlig erschöpft vom Magen-Darm-Virus im Bett.
Adrian entschied sich, den Autoschlüssel in den scheppernden Briefkasten zu werfen. Es dauerte nur Sekunden, bis ein Hund im Nachbarhaus heftig anschlug. Hier entgeht wirklich niemandem etwas, dachte Adrian.
Da er sein eigenes Taxi ja eigentlich zur Werkstatt hatte bringen wollen, hatte er am Morgen den Ersatzschlüssel in die Jacke gesteckt. Der war nun Gold wert. Immer noch aufgewühlt stieg er in seinen Wagen und startete den Motor.
14
Nachdem er den Messeturm passiert hatte, meldete er sich in der Zentrale.
„Hallo Sissi. Hier Adrian. Ich fahr nach Hause. Heute Nacht ist in Frankfurt echt nichts los.“
Es knackte in der Leitung.
„Okay, Adrian. Ich hab’ dich schon vermisst“, gähnte Sissi gelangweilt über den Äther.
„Ich war in Ruhe was essen. Und hab’ ’ne Zigarettenpause gemacht“, log Adrian.
„Das nächste Mal meldest du dich früher.“ Sissi klang genervt. „Und im Taxi wird nicht geraucht. Dass das klar ist. Gute Nacht.“
Adrian stellte das Funkgerät ab. Er hoffte, dass Annika schlafen würde, wenn er jetzt nach Hause käme. Denn das Letzte, was er jetzt brauchte, wäre die nächtliche Neuauflage der unendlichen Diskussion über den aktuellen Stand ihrer Beziehung.
Dunkel und kalt glänzte das Wasser des Mains, als er über die Alte Brücke Richtung Sachsenhausen fuhr. Unbewusst griff Adrian in seine Hosentasche. Sein Puls begann zu rasen, als seine Finger den kühlen, gebrochenen Engelsflügel berührten. Klar und scharf stand die bizarre Waterbondage-Szene mit der halbnackten gefesselten Blondine vor seinem inneren Auge. Und Claras fassungsloser Blick, der ihn bis ins Mark getroffen hatte, bevor er aus dem unterirdischen Klärwerk geflüchtet war. Für einen Moment stieg in Adrian ein Gefühl von Angst und Furcht hoch. Warum fuhr er nicht zur Polizei? Was hielt ihn davon ab, jetzt rational und besonnen zu reagieren? Normalerweise müsste er das, was er gesehen hatte, schleunigst zu Protokoll geben.
Der silberne Flügel brannte wie Feuer in seiner Hand. Adrian spürte, dass es Claras Blick war, der ihn zurückhielt. Der Gedanke erschreckte ihn. Sie hatte etwas in ihm ausgelöst, das ihn gefangen hielt. Und tief in sich fühlte er, dass er ihr aus unerklärlichen Gründen widerstandslos ausgeliefert war.
15
Als Adrian vorsichtig den Schlüssel im Schloss umdrehte, fuhr Annika hoch. Durch die angelehnte Schlafzimmertür beobachtete sie, wie er die Lederjacke lässig auf die Couch warf und dann in die Küche ging. Sie wartete, ob er zu ihr ins Schlafzimmer kommen würde. Doch nichts geschah.
Als der PC im Wohnzimmer hochfuhr, packte sie die kalte Wut. Heftig riss sie die Tür auf. Adrian zuckte zusammen. Er fühlte sich ertappt.
„Wo kommst du jetzt her?“ Annikas Stimme überschlug sich.
„Für wen hältst du dich eigentlich?“
Schuldgefühle stiegen in Adrian hoch, und er senkte betroffen den Kopf.
„Annika, es tut mir leid. Ich hatte nervige Fahrgäste …“ Doch sie ließ ihn überhaupt nicht zu Wort kommen. Wie eine entfesselte Furie stürzte sie sich auf ihn.
„Sag, wie sie heißt“, trommelte sie mit ihren Fäusten auf seine Brust.
„Spinnst du?“ Adrian versuchte verzweifelt, Annika festzuhalten. Doch sie ließ sich nicht beruhigen. Ihre blonden langen Locken hingen ihr wirr ins Gesicht, über das ihre Tränen wie Sturzbäche flossen. Mit einem heftigen Griff drehte er ihr Handgelenk um, um die Tobende auf Distanz zu halten. Doch sie zappelte nur umso heftiger. Plötzlich entwand sie sich seinem Griff. Adrian rutschte ab. Mit dem Ellenbogen erwischte er die geöffnete Bierflasche, die mit einem lauten Knall auf dem hellen Holzparkett in tausend Stücke zersplitterte.
Annika tobte wie eine Furie. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sie mit Gewalt über die Scherben hinweg auf die Couch zu stemmen. Dann
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