Darm mit Charme: Alles über ein unterschätztes Organ (German Edition)
können und es ein Teil von uns wird.
Damit fangen wir schon im Mund an. Ein Bissen von einem Apfel klingt nur deshalb so saftig, weil wir mit unseren Zähnen viele Millionen Apfelzellen platzen lassen wie Luftballons. Je frischer der Apfel ist, desto mehr Zellen sind noch intakt – deshalb vertrauen wir auf besonders laute Knackgeräusche.
Genauso wie wir knackige Frische lieben, bevorzugen wir auch erhitzte proteinreiche Lebensmittel. Steak, Rührei oder gebratenen Tofu finden wir leckerer als rohes Fleisch, glibbriges Ei oder kalten Tofu. Auch das liegt daran, dass wir intuitiv etwas verstanden haben. Im Magen passiert mit einem rohen Ei nämlich das Gleiche wie in der Pfanne: Eiweiß wird weiß, Eigelb wird pastellfarben, und beide stocken. Wenn wir uns nach genügend langer Zeit erbrechen würden, käme ein optisch astreines Rührei dabei heraus, und das ganz ohne Hitze. Proteine reagieren auf eine Herdplatte genauso wie auf Magensäure – sie entfalten sich. Dann sind sie nicht mehr so clever gebaut, um sich beispielsweise unsichtbar im Eiklar zu lösen, sondern zeigen sich als weiße Brocken. So können sie im Magen und Dünndarm sehr viel einfacher abgebaut werden. Kochen erspart uns also die ganze erste Ladung »Entfaltungsenergie«, die ansonsten der Magen dafür aufbringen müsste, und ist damit der outgesourcte Teil unseres Verdauungsgeschäfts.
Die allerletzte Verkleinerung der Nahrungsmittel, die wir zu uns nehmen, passiert letztendlich im Dünndarm. Ganz am Anfang gibt es ein kleines Loch in der Darmwand, das ist die Papille. Sie erinnert ein bisschen an die Speichelpünktchen im Mund – aber ist größer. Durch diese winzige Öffnung werden unsere Verdauungssäfte auf den Nahrungsbrei gespritzt. Sobald wir etwas essen, werden sie in der Leber und in der Bauchspeicheldrüse produziert und dann zur Papille geliefert. Sie enthalten die gleichen Bestandteile wie Waschmittel und Spüli aus dem Supermarkt: Verdauungsenzyme und Fettlöser. Waschmittel wirken gegen Flecken, weil sie fettige, eiweißhaltige oder zuckrige Substanzen sozusagen von den Kleidern »wegverdauen« und im Abwasser davontransportieren, während alles nass geknetet wird. Das ist so ziemlich das Gleiche wie das, was im Dünndarm passiert. Hier werden allerdings vergleichsweise riesige Stücke Eiweiß, Fett oder Kohlenhydrate aufgelöst, um über die Darmwand in das Blut zu gelangen. Ein Apfelstückchen ist dann kein Apfelstückchen mehr, sondern eine Nährlösung aus Milliarden und Abermilliarden energiereichen Molekülen. Um sie alle einzeln aufzunehmen, braucht es eine recht große Fläche – 7 Kilometer Länge sind da gerade recht. So gibt es auch immer noch Sicherheitspuffer, wenn im Darm Entzündungen sind oder man sich eine Darmgrippe eingefangen hat.
In jeder einzelnen Dünndarmzotte befindet sich ein winziges Blutgefäß. Es wird mit den resorbierten Molekülen gefüttert. Alle Gefäße des Dünndarms laufen zusammen und fließen dann durch die Leber, die unsere Nahrung auf Schadstoffe und Gifte prüft. Gefährliches kann hier noch vernichtet werden, bevor es in unseren großen Blutkreislauf übergeht. Essen wir zu viel, werden hier erste Energiespeicher angelegt. Von der Leber aus fließt das nahrhafte Blut direkt zum Herzen. Von hier aus wird es mit einem kräftigen Stoß zu den vielen Zellen des Körpers gepumpt. Ein Zuckermolekül landet dann zum Beispiel bei einer Hautzelle in der rechten Brustwarze. Hier wird es aufgenommen und mit Sauerstoff verbrannt. Dabei entsteht Energie, um die Zelle lebendig zu halten, und als Nebenprodukte fallen Wärme und winzige Mengen Wasser an. Insgesamt passiert das bei so vielen kleinen Zellen gleichzeitig, dass wir konstant 36 bis 37 Grad Celsius warm sind.
Das Grundprinzip von unserem Energiestoffwechsel ist einfach: Damit ein Apfel heranreift, verbraucht die Natur Energie. Wir Menschen wiederum zerkleinern den Apfel und verbrennen ihn anschließend bis auf die Molekülebene. Die dabei wieder freiwerdende Energie nutzen wir, um zu leben. Alle Organe, die aus dem Darmrohr entstehen, können Brennmaterial für unsere Zellen beschaffen. Auch unsere Lungen machen nichts anderes, als mit jedem Atemzug Moleküle aufzunehmen. »Luft holen« bedeutet dann sozusagen, »gasförmige Nahrung zu sich zu nehmen«. Ein guter Teil unseres Körpergewichts kommt durch die eingeatmeten Atome zustande und nicht nur durch einen Cheeseburger. Pflanzen ziehen sogar den größten Teil ihres Gewichts aus
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