Darm mit Charme: Alles über ein unterschätztes Organ (German Edition)
Dunkel.
Auf Guam gibt es in manchen Gebieten eine erstaunliche Häufung von parkinsonartigen Symptomen bei der Bevölkerung. Die Betroffenen haben zitternde Hände, ihre Mimik ist schwächer, sie bewegen sich langsamer. Man fand heraus, dass die besonders hohen Erkrankungsquoten dort vorkamen, wo die Menschen Palmfarnsamen aßen. Diese Samen haben Inhaltsstoffe, die giftig für Nervenzellen sind. Einen fast identischen Stoff kann Helicobacter pylori herstellen. Gab man Mäusen einen Extrakt des Bakteriums – ohne sie mit lebenden Bakterien zu infizieren –, zeigten sie ähnliche Symptome wie die Palmfarn essenden Guamer. Auch hier gilt: Längst nicht jedes Helicobacter -Bakterium stellt dieses Gift her, aber es ist sicher nicht gut, wenn es dies tut.
Unterm Strich manipuliert Helicobacter an unseren Schutzbarrieren, kann unsere Zellen reizen und kaputtmachen, Gifte herstellen und so unseren gesamten Körper schädigen. Wie konnte unser Körper diesem Keim nur so viele Jahrtausende relativ unbewaffnet gegenüberstehen? Warum werden diese Bakterien von unserem Immunsystem so lange und ausgiebig toleriert?
Helicobacter ist gut
In einer der größten Studien zu Helicobacter und seinen Auswirkungen kam man zu folgendem Schluss: Vor allem der als gefährlich geltende Stamm mit der winzigen Spritze interagiert mit unserem Körper auch sehr vorteilhaft. Nach über zwölf Jahren Beobachtungszeit mit mehr als 10 000 Probanden konnte man sagen, dass bei den Besitzern dieses Helicobacter- Typs zwar eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für Magenkrebs vorlag – die Gefahr, an Lungenkrebs oder einem Schlaganfall zu sterben, aber deutlich vermindert war. Und zwar um die Hälfte im Vergleich zu den übrigen Testteilnehmern.
Die Vermutung, dass ein so lange tolerierter Keim nicht nur schlecht sein könne, war auch schon vor dieser Studie laut geworden. In Experimenten mit Mäusen hatte man zeigen können, dass Helicobacter in der Mäusekindheit für einen verlässlichen Schutz vor Asthma sorgte. Gab man ein Antibiotikum, verschwand der Schutz, und die Mäusekinder konnten wieder Asthma entwickeln. Wenn man erwachsenen Mäusen das Bakterium einflößte, war der Schutz noch da, allerdings geringer ausgeprägt. Nun kann man sagen: Mäuse sind nicht Menschen – allerdings passte diese Beobachtung ganz gut zu den generellen Trends, die man vor allem in Industrieländern sehen konnte: Krankheiten wie Asthma, Allergien, Diabetes oder Neurodermitis nahmen zu, während die Helicobacter -Raten gleichzeitig absanken. Diese Beobachtung ist bei weitem kein Beweis dafür, dass Helicobacter der allein rettende Asthma-Verhinderer ist – er könnte daran aber mitbeteiligt sein.
Man stellte deshalb folgende These auf: Dieses Bakterium bringt unserem Immunsystem wichtige Coolness bei. Helicobacter dockt in unserem Magen an und sorgt dafür, dass sehr viele sogenannte regulatorische T-Zellen hergestellt werden. Regulatorische T-Zellen sind Immunzellen, die bei einer plötzlich aggressiven Nachtclub-Stimmung ihrem angetrunkenen Freund, dem Immunsystem, die Hand auf die Schulter legen und sagen: »Ich regel das.« Vermutlich heißen sie nicht deshalb so, aber das ist an sich ihre Funktion.
Während das aufgebrachte Immunsystem noch schreit: »Verschwinde, du Pollen-Dings aus meiner Lunge, du Arsch!«, und eine Kampfansage mit dicken roten Augen und laufender Nase macht, sagt die regulatorische T-Zelle: »Komm, Immunsystem, das war jetzt echt etwas zu hart. Das Pollen-Ding ist doch auch nur auf der Suche nach seiner Blüte, die es bestäuben will. Da ist es aus Versehen hier gelandet. Das ist doch eher doof für das Pollenkorn. Hier findet es ja echt keine Blume.« Je mehr man von diesen korrekten Zellen hat, desto gechillter ist auch das eigene Immunsystem.
Werden in einer Maus durch Helicobacter besonders viel dieser regelnden Zellen hergestellt, kann man das Asthma einer anderen Maus allein dadurch bessern, dass man ihr nur diese Zellen überträgt. Mit Sicherheit ein einfacheres Verfahren, als den Mäusen den Gebrauch winziger Asthma-Sprays näherbringen zu wollen.
Auch Hautekzeme treten bei Menschen mit Helicobacter pylori ein gutes Drittel seltener auf. Entzündliche Darmkrankheiten, Autoimmunprozesse oder chronische Entzündungen könnten unter anderem deshalb ein Trend unserer Zeit sein, weil wir unwissentlich auslöschen, was uns jahrtausendelang geschützt hat.
Helicobacter ist beides
Helicobacter pylori sind Bakterien mit vielen
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