Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Darm mit Charme: Alles über ein unterschätztes Organ (German Edition)

Darm mit Charme: Alles über ein unterschätztes Organ (German Edition)

Titel: Darm mit Charme: Alles über ein unterschätztes Organ (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giulia Enders
Vom Netzwerk:
Es gibt zwei bekannte Merkmale, die für die angriffslustige Variante verantwortlich sind: Das eine heißt »cagA« und ist eine Art winzige Spritze, über die das Bakterium bestimmte Stoffe in unsere Zellen spritzen kann. Das andere Merkmal wird »VacA« genannt. Es stachelt die Magenzellen permanent an und bringt sie so dazu, schneller kaputtzugehen. Die Wahrscheinlichkeit, Magenprobleme zu bekommen, ist sehr viel höher, wenn ein Helicobacter die kleine Spritze oder das Anstachel-Gen hat. Hat er das nicht, propellert Helicobacter sehr viel harmloser umher.
    Trotz großer Gemeinsamkeiten ist jeder Helicobacter -Keim so einzigartig wie der Mensch, der ihn trägt. Das Bakterium passt sich immer seinem Träger an und verändert sich mit ihm. Diese Fähigkeit von Helicobacter kann man sich auch zunutze machen, wenn man nachverfolgen will, wer wen damit angesteckt hat. Großkatzen haben einen katzeneigenen Helicobacter . Er heißt Helicobacter acinonychis . Da er dem menschlichen Helicobacter in vielen Dingen so ähnlich ist, fragte man sich bald, wer damals wohl wen gefressen hat. Der Urmensch den Tiger oder der Tiger den Urmensch?
    Anhand der Gene konnte man sehen, dass im Katzenerreger vor allem Gene inaktiviert worden waren, die ihm sonst geholfen hätten, sich gut am menschlichen Magen festzuhalten – nicht andersherum. Beim Verspeisen des Urmenschen hatte die Großkatze seinerzeit auch dessen Magenkeim mitgegessen. Weil dieser von ein paar Zähnen nicht zerquetscht wird und sich gut anpassen konnte, hat das Katzentier sich und seinen Nachfahren einen Helicobacter eingehandelt. Wenigstens etwas Gerechtigkeit.
    Aber was ist Helicobacter denn nun – gut oder schlecht?
Helicobacter ist schlecht
    Da der Keim sich in unserer Schleimhaut einnistet und dort chaotisch umherwirbelt, schwächt er diese Schutzbarriere. Mit der Folge, dass die aggressive Magensäure nicht nur unser Essen verdaut, sondern teilweise auch ein bisschen die eigenen Zellen. Wenn er dann noch zusätzlich über die winzige Spritze oder das Anstachel-Gen verfügt, gibt er unseren Magenzellen damit den Rest. Etwa jeder Fünfte, der dieses Bakterium hat, bekommt dadurch kleine Läsionen in der Magenwand. Dreiviertel aller Geschwüre im Magen und beinahe alle Geschwüre im Dünndarm entstehen nach einer Infektion mit Helicobacter pylori . Kann man den Keim durch Antibiotika loswerden, verschwinden auch die Magenprobleme. Eine Alternative zu Antibiotika könnte bald ein konzentrierter Extrakt aus Broccoli werden – Sulforaphan . Diese Substanz kann das Enzym blockieren, mit dem Helicobacter die Magensäure neutralisiert. Wer es statt Antibiotika ausprobieren möchte, sollte auf gute Qualität achten und von seinem Arzt nachprüfen lassen, ob der Helicobacter nach zweiwöchiger Einnahme tatsächlich verschwunden ist.
    Ein Dauerreiz ist nie besonders gut. Das kennt man von Insektenstichen – wenn es immer juckt, dann verliert man irgendwann die Geduld und kratzt die eigene Haut kaputt, damit es endlich aufhört. In etwa dasselbe passiert in den Magenzellen: Bei einer chronischen Entzündung werden dauernd Zellen gereizt, bis sie sich selber abbauen. Bei älteren Menschen kann dies auch dazu führen, dass sie immer weniger Appetit haben.
    Im Magen gibt es Stammzellen, die fleißig Nachschub herstellen, um den Verlust schnell zu ersetzen. Wenn diese Nachschubhersteller überlastet sind, machen sie mehr Fehler und können so irgendwann Krebszellen werden. Es scheint auf den ersten Blick nicht weiter dramatisch, wenn man sich die Zahlen ansieht: Etwa ein Prozent der Helicobacter -Träger bekommt Magenkrebs. Wenn man sich aber in Erinnerung ruft, dass die Hälfte aller Menschen diesen Keim in sich trägt, dann ist ein Prozent eine verdammt große Zahl. Die Chance, ohne Helicobacter Magenkrebs zu bekommen, ist um das Vierzigfache niedriger als mit.
    Für die Entdeckung des Zusammenhangs von Helicobacter pylori und Entzündungen, Geschwüren und Krebs wurden Marshall und Warren 2005 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Vom Bakteriencocktail bis zum Siegercocktail hat es zwanzig Jahre gedauert.
    Noch mehr Zeit verging, bis Helicobacter und Parkinson zusammengebracht wurden. Obwohl Ärzte schon in den sechziger Jahren gehäuft Magenprobleme bei ihren Parkinson-Patienten feststellten, war ihnen damals nicht klar, was Magen und zitternde Hände verbinden könnte. Erst eine Untersuchung von verschiedenen Bevölkerungsgruppen auf der Insel Guam brachte mehr Licht ins

Weitere Kostenlose Bücher