Darm mit Charme: Alles über ein unterschätztes Organ (German Edition)
– Contergan oder Asbest hätte gerne noch etwas länger ausgetestet werden können.
Toxoplasmen können uns mehr beeinflussen, als wir es vor einigen Jahren noch geglaubt haben. Und sie haben damit eine neue Ära eingeläutet. Eine Ära, in der sogar ein plumpes Stück Katzenkot zeigen kann, was unser Leben so alles mitbestimmt. Eine Zeit, in der wir langsam begreifen, wie verknüpft wir mit unserem Essen, unseren Tieren und der winzigen Welt sind, die auf uns lebt.
Ist es gruselig? Vielleicht ein bisschen. Aber ist es nicht auch spannend, dass wir Schritt für Schritt Prozesse entschlüsseln, die wir bisher nur als Schicksal hinnehmen konnten? Wir können die Risiken in unserem Leben so mit beiden Händen packen. Manchmal reicht dafür schon eine Katzenkloschaufel, durchgebratenes Fleisch und gewaschenes Obst und Gemüse.
Madenwürmer
Es gibt kleine weiße Würmer, die gerne in unserem Darm wohnen möchten. Jahrhundertelang haben sie ihr Verhalten auf uns abgestimmt. Jeder zweite Mensch hat mindestens einmal im Leben diese Würmer zu Gast. Manche merken es gar nicht, bei anderen ist es eine nervige Plage, über die man kaum redet. Wenn man im richtigen Moment guckt, kann man sehen, wie sie uns aus unserem Anus heraus zuwinken. Sie sind ein bis anderthalb Zentimeter groß, weiß und haben teilweise ein spitzes Ende. Irgendwie erinnern sie ein kleines bisschen an Flugzeugkondensstreifen im Himmel, außer dass sie nicht immer länger werden. Jeder, der einen Mund und einen Finger hat, kann diese Madenwürmer kriegen. Finger- und Mundlose sind hier also endlich mal im Vorteil.
Zäumen wir das madige Geschehen von hinten auf. Die »schwangere« Madenfrau möchte ihren Eiern eine sichere Zukunft bieten. Und das ist gar nicht leicht. Ein Madenei muss vom Menschen verschluckt werden, dann im Dünndarm schlüpfen, damit es im Dickdarm als erwachsener Wurm ankommt. Jetzt sitzt so eine ausgewachsene Madenfrau aber in den hinteren Darmgebieten – die Verdauungsrichtung ist komplett gegen sie – und fragt sich, wie sie bloß zurück zum Mund kommen soll. Hier greift die vermutlich einzige Intelligenz, die wir bei so einem Wesen feststellen: die Intelligenz der Anpassung. Ob daher der Begriff »Arschkriecher« gekommen ist, lasse ich mal dahingestellt sein.
Madenwürmer-Weibchen wissen, wann wir ruhig werden, uns horizontal hinlegen und keine Lust haben, noch mal aufzustehen. Genau dann brechen sie auf zum Anus. Sie legen ihre Eier in die vielen kleinen Anusfalten und krabbeln dann so lange wild umher, bis es uns juckt. Dann schlüpfen sie schnell zurück in den Darm, denn aus Erfahrung wissen sie: Jetzt kommt die Hand und erledigt den Rest. Unter der Decke wird sie in Richtung Hintern geschoben, direkt ins Fadenkreuz der Juckattacke. Dieselben Nervenbahnen, die den Juckreiz weitergegeben haben, melden jetzt: Bitte kratzen! Wir kommen dieser Aufforderung nach und sorgen dafür, dass die Nachfahren der Madenwürmer so per Schnellexpress in mundnahe Gegenden befördert werden.
Wann haben wir am wenigsten Interesse, uns nach Pokratzen die Hände zu waschen? Wenn wir von alldem gar nichts mitkriegen, weil wir schlafen oder eben auch viel zu müde sind, um noch mal aufzustehen. Zur Madenwurm-Eier-Leg-Zeit eben. Ist klar, was der nächste Traum von »Finger in Schokotorte tunken« bedeutet? Eier Richtung Heimat. Wer jetzt »Iiiih« denkt, hat vielleicht vergessen, dass wir auch Hühnereier runterschlucken. Nur sind die eben viel größer, und wir kochen sie meist vorher.
Lebewesen, die ohne Einladung in unseren Darm einziehen und von dort aus ihre Familienplanung vollziehen, stehen wir kritisch gegenüber. Man traut sich auch nicht so richtig, mit anderen darüber zu reden. Fast als wäre man ein schlechter Hausherr – der kein Machtwort sprechen kann und bei dem deshalb alle möglichen Fremden unterkommen, ohne zu fragen. Das ist bei den Madenwürmern allerdings ein bisschen anders: Sie sind Gäste, die uns morgens zum Frühsport wecken und ihrem Hausherren danach eine das Immunsystem stimulierende Massage verpassen. Sie essen uns außerdem kaum etwas weg.
Es ist nicht gut, sie immer zu haben – aber einmal im Leben kann man das mitmachen. Wissenschaftler vermuten, dass »Madenwurmbefall von Kindern« sie im späteren Leben vor zu heftigem Asthma oder auch Diabetes schützen kann. Insofern: »Welcome Mr & Mrs Madenwurm«. Aber bitte die Gastfreundlichkeit nicht überstrapazieren! Denn drei Dinge können bei einem
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