Darm mit Charme: Alles über ein unterschätztes Organ (German Edition)
gut abgewogen werden. Geht gar nichts mehr, kommen die Chemiekeulen zum Einsatz. Pestizide wirken wahre Wunder gegen Schädlinge – aber man sollte sie nicht gleich wie Deo benutzen.
Kluge Sauberkeit beginnt schon in unserem Alltag – worauf sollten wir wirklich achten, und was ist übertriebene Hygiene? Mitten in unserem Körper säubern dann vor allem drei Instrumente: Mit Antibiotika können wir akute Krankheitserreger fernhalten, Produkte wie Prä- und Probiotika fördern das Gute. »Pro bios« bedeutet »für das Leben«. Probiotika sind lebendige Bakterien, die wir essen und die uns gesunder machen können. »Pre bios« heißt übersetzt: »vor dem Leben« – Präbiotika sind Nahrungsmittel, die den Dickdarm erreichen und dort gute Bakterien füttern, so dass diese besser wachsen als die schlechten. »Anti bios«, heißt »gegen das Leben«. Antibiotika töten Bakterien ab und können uns so retten, wenn wir uns schlechte Bakterien eingefangen haben.
Sauberkeit im Alltag
Sauberkeit ist faszinierend, denn sie findet größtenteils im Kopf statt. Ein Pfefferminzbonbon schmeckt frisch, geputzte Fenster sind klar, und geduscht in ein neubezogenes Bett zu steigen ist himmlisch. Wir riechen gern an Sauberem. Wir streichen gerne über glattpolierte Oberflächen. Wir entspannen bei dem Gedanken, sicher vor einer unsichtbaren Keimwelt zu sein, wenn wir Desinfektionsmittel benutzen.
Vor 130 Jahren entdeckte man in Europa, dass Bakterien Tuberkulose auslösen. Es war das erste Mal, dass man Bakterien öffentlich zur Kenntnis nahm – und zwar als schlecht, gefährlich und vor allem unsichtbar. Bald wurden in Europa neue Regeln eingeführt: Kranke wurden isoliert, damit sie ihre Keime nicht weitergaben; Spuckverbote an Schulen wurden eingeführt; enge Berührung wurde verpönt, und es galt, den »Kommunismus des Handtuchs« zu vermeiden! Außerdem sollte man »Küssen auf das erotisch Unvermeidliche« beschränken. Diese Gebote klingen zwar ulkig, aber sie haben sich tief in unserer Gesellschaftsordnung verankert: Spucken gilt seither als unfein, Handtücher oder Zahnbürsten teilt man nicht mehr einfach so, und wir sind körperlich distanzierter als andere Kulturen.
Einer tödlichen Krankheit zu entgehen, indem man in der Schule nicht mehr auf den Boden spuckt, schien eine feine Sache. Es wurde eine Regel, die sich ins Gehirn einbrannte. Man ächtete den, der sich nicht daran hielt und alle anderen dadurch in Gefahr brachte. Diese Ächtung lehrte man seine Kinder, und das Spucken bekam ein schlechtes Image. Sauberkeit zu pflegen wurde anerkannt, man bemühte sich um Ordnung in einem Leben voller Chaos. Die Firma Henkel formulierte das so: »Schmutz ist Materie am falschen Ort.«
Während große Bäder zur Körperpflege bis dahin reichen Menschen vorbehalten waren, forderten deutsche Hautärzte zu Beginn des 20 . Jahrhunderts: »Jedem Deutschen wöchentlich ein Bad!« Damals gab es Gesundheitskampagnen von großen Firmen, die Badeanlagen für ihre Mitarbeiter bauten und kostenlos Seife und Handtücher ausgaben. Erst 1950 hatte sich das wöchentliche Bad langsam durchgesetzt. Die Durchschnittsfamilie nahm samstags ein Bad – im selben Badewasser nacheinander –, und in manchen Familien durfte der hart arbeitende Vati zuerst in die Wanne. Früher ging es bei Sauberkeit um die Beseitigung von schlechtem Geruch oder sichtbarem Dreck, mit der Zeit wurde diese Vorstellung immer abstrakter. Ein wöchentliches Familienbad können wir uns jetzt schlichtweg nicht mehr vorstellen. Wir kaufen heutzutage sogar Desinfektionsmittel, um etwas wegzuputzen, das wir nicht mal sehen können. Es sieht vorher genauso aus wie nachher – und trotzdem ist es uns das Geld wert.
Zeitungen und Nachrichten erzählen uns von gefährlichen Grippeviren, multiresistenten Keimen oder EHEC -Skandalen. Alles unsichtbare Gefahren, vor denen wir uns schützen wollen. Der eine isst in der EHEC -Krisenzeit weniger Salat, der andere googelt »Ganzkörperdesinfektionsduschen«. Menschen gehen mit Angst unterschiedlich um. Das zu verurteilen wäre ein bisschen einfach – viel eher sollte man verstehen, woher diese Angst kommt.
Bei der Angsthygiene geht es darum, alles wegzuputzen oder abzutöten. Wir wissen nicht genau, was, aber denken eben an das Schlechte. De facto putzen wir dabei aber alles weg: Schlechtes und Gutes. Diese Art der Sauberkeit kann noch nicht die richtige sein. Je höher die Hygienestandards in einem Land sind, desto mehr Allergien
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