Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
Tage, der selber spektakuläre Fossilien aus der Urzeit der Wirbeltiere entdeckt hat, beruft er sich auf ein Prinzip, mit dem er das Unwahrscheinliche wahrscheinlich machen will. Hinter Konvergenz, sagt er, verbirgt sich kein Zufall, sondern System: Die Biologie verfährt, wenn es um Fortschritt und Entwicklung geht, nicht anders als die Kultur. Statt mit dem Unwahrscheinlichen endlos vieler Möglichkeiten zu jonglieren, folgt sie Grundlinien der Wahrscheinlichkeit - ähnlich
einem Wanderer, der an einer Weggabelung nur eine Richtung wählen kann, aber nicht jede beliebige.
Es fühlt sich merkwürdig an, am weißen Strand von Anakena im Schatten der importierten Kokospalmen an ein lichtdurchflutetes Büro unterm Dach in Cambridge zu denken. Aber dort hat Conway Morris zur Erklärung seiner Ideen die Osterinsel angeführt. Kurz gesagt schlägt er vor, dass sich das Leben durch die Evolution navigiert wie die polynesischen Pioniere durch die See. Die Rapa Nui hätten ihre Insel nie gefunden, wären sie allein dem Zufall gefolgt oder stur in eine Richtung gefahren. Sie sind nicht nur strategisch vorgegangen und haben die endlose Weite des Ozeans mithilfe der Sterne systematisch erkundet. Sie konnten Inseln auch Hunderte Kilometer vor dem Erreichen an Merkmalen wie Treibgut, Staub oder abgedrifteten Vögeln erkennen und gezielt ansteuern. Dabei kreuzten sie stets gegen die vorherrschenden Winde, die sie im Notfall immer wieder sicher Richtung Heimat brachten. Das erlaubte es ihnen, sich bis an die Grenzen ihrer Reserven hinauszuwagen, ohne ihren Untergang zu riskieren.
Das Abenteuer des Lebens als berechenbare Größe, nichts Geringeres schlägt der Brite vor. Von Anfang an sucht es sich die wenigen Inseln der Möglichkeiten im Ozean der Unmöglichkeit. So wie ein Schachspieler fast alle möglichen Züge von vornherein verwirft und sich auf wenige konzentriert. Das Leben, sagt Conway Morris, folge einer Art Heimkehrinstinkt. Er vergleicht sein Modell mit den »Attraktoren« in der Chaostheorie, die immer wieder gleiche Muster erzwingen, etwa den Wirbel im Sturm oder im ablaufenden Wasser.
Das sind keineswegs nur Gedankenspielereien zwischen Teleologie und Theologie. Von der untersten Ebene des Lebens bis zur Erfindung des Auges in der biologischen oder dem Rad in der kulturellen Evolution lassen sich die »Zwänge« durchgehend dokumentieren. Je genauer man schaut, desto mehr Muster finden sich. Gemessen an den scheinbar denkbaren Möglichkeiten ist die Zahl der praktisch verwirklichten Muster äußerst gering. Die Natur hat angesichts der Myriaden von Möglichkeiten auch nur einen verschwindend geringen Teil realisiert. Dabei geht sie nicht nach dem reinen Zufallsprinzip vor, sondern baut jeweils schrittweise auf dem Vorhandenen auf.
In die Atome seiner Existenz zerlegt, besteht das Leben aus einer
Unzahl von Entscheidungen. Für jede gibt es wenige oder nur eine einzige mögliche Wahl. Sie werden jedoch nicht alle auf einmal getroffen, sondern, im Gegenteil, auf jeder Linie eine nach der anderen - so wie im richtigen Leben. Erst wenn eine Weggabelung erreicht ist, ergibt sich die neue Richtung.
Die Sprache bietet eine vereinfachte Analogie. Angenommen, wir müssten deutsche Wörter erfinden: Statt wahllos 26 Buchstaben zu kombinieren, was schon bei dreien 17576 Versuche erfordert, starten wir bei jedem Buchstaben eine eigene Entwicklung. Das W als simples Beispiel für einen Anfang kombiniert sich mit A, aber nicht mit B, C oder D und so weiter, dann wieder mit E, jedoch nicht mit F, G und so fort. Bei wf oder wz stoppt der Versuch, weil kein sinnvolles Wort mehr entstehen kann. Die Zahl der Möglichkeiten reduziert sich erheblich. Beim nächsten Buchstaben gibt es wiederum nur begrenzt viele erlaubte Kombinationen, sodass wir selbst für einfache Worte wie »wer«, »was« oder »wem« lediglich einen Bruchteil der Versuche benötigen, die rein zufällig möglich wären. Das Ganze setzt sich bei der Kombination der Wörter zu möglichen Sätzen fort.
Der von Evolutionskritikern oft zitierte Affe, der zufällig auf einer Tastatur herumhämmert, würde tatsächlich bis in alle Ewigkeit niemals ein Shakespeare-Sonett zusammenbringen. Nur wenn wir - als Instanz der Selektion - ihn auf erfolgreiche Ansätze aufbauen ließen, könnte überhaupt etwas Sinnvolles von nennenswertem Umfang dabei entstehen. Oder anders gesagt: wenn wir den Zufall und damit die Freiheit (und Beliebigkeit) einschränken. Nichts anderes
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