Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
Vater« - mit seiner Frau, ihren sechs Söhnen und der Großfamilie. Sie haben Hühner dabei, Pflanzen, Samen und Wurzeln, offenbar darauf vorbereitet, sich in einer neuen Heimat niederzulassen. So haben sich Polynesier seit dem 12. Jahrhundert vor der Zeitenwende über den gesamten Pazifik ausgebreitet. Wo nicht pure Wanderlust im Spiel ist, zwingt Bevölkerungsdruck sie, zu neuen Ufern aufzubrechen, von Neuseeland bis Hawaii. Die Südseeinsulaner als Teil des epischen Trecks, der globalen Wanderungsbewegung des HOMO SAPIENS, die bis heute anhält.
Die Menschheit verhält sich in gewisser Weise wie ein ideales Gas. Sie dringt vor in jeden verfügbaren Raum. Sie folgt dem übrigen Leben, bis jeder Ort ihre Spuren trägt. Genetische Analysen an Hühnern legen nahe, dass Polynesier auch in Südamerika gewesen sind. Womöglich gelangen sie sogar nach Australien und Nordamerika, ohne sich etablieren zu können. Denn dort sind schon andere, es herrscht Konkurrenz durch Menschen, auf einer unberührten Insel aber nicht.
Die Entdecker von Rapa Nui finden ein Schlaraffenland vor - vielleicht sogar das letzte am äußersten Ende der Inselwelt, deren Besiedlung um das Jahr 1200 abgeschlossen ist. Allein die Millionen Palmen, nahe verwandt der chilenischen, versprechen eine Grundversorgung über viele Generationen. Darwin schätzt die Ausbeute an Palmhonig aus einem Baum in Chile auf vierhundert Liter. Modellrechungen haben ergeben, dass selbst bei einer Annahme von nur achtzig Litern Ertrag und einem täglichen Verbrauch von zwei Litern pro Person die Wälder auf Rapa Nui in Form von Zucker genug Kalorien für acht Jahrhunderte bereithalten. Dazu Hühner und andere Landvögel, Fleisch von Robben und Delfinen, jede Menge Fisch, Früchte und Süßkartoffeln. Trinkwasser ist reichlich vorhanden.
Über das, was nun passiert, gibt es etliche widerstreitende Theorien. Fakt ist, dass seit Beginn der menschlichen Besiedlung der Wald auf der Insel stetig zurückgeht, bis nach und nach das gesamte Ökosystem stirbt. Fachleute schätzen, dass jeder zehnte Bewohner nur damit beschäftigt gewesen sein muss, Bäume zu schlagen. Dennoch setzt die Gesellschaft wie in einem Gelobten Land genug Arbeitskraft frei, um Kunst und Kultur zur Blüte zu bringen und sogar Mammutprojekte
anzupacken wie die Steinstatuen. Und das bei der Bevölkerungszahl einer heutigen Kleinstadt.
Die Skulpturen werden im Lauf der Zeit immer aufwendiger, schwerer und abstrakter, die Sockel immer voluminöser und ausgefeilter gearbeitet. Zwischen den Häuptlingen scheint ein Wettlauf um das monumentalste Mahnmal entbrannt zu sein. Ausgrabungen zufolge beginnen sie, den Köpfen Augen aus weißer Koralle mit Pupillen aus Rotschlacke einzusetzen. Aus Rotschlacke entstehen in der Spätphase des Statuenbaus auch sogenannte Pukao, Zylinder mit einem Gewicht von bis zu zwölf Tonnen. Etwa hundert werden noch gefertigt, aber nur wenige aufgesetzt. Sie zieren die Köpfe wie symbolischer Federschmuck.
Die interessanteste Frage ist nicht, wie die Osterinsulaner den Figuren die Kronen aufgesetzt, wie sie 88-Tonnen-Trümmer bewegt haben oder was sie mit dem 270-Tonnen-Giganten vorhatten, der unfertig im Steinbruch zurückgelassen worden ist. Interessant ist vielmehr, warum sie die Katastrophe nicht verhindert, nicht früh genug gegengelenkt haben. Ihnen kann unmöglich entgangen sein, dass der Holzverbrauch zunahm, die Menge an verfügbarem Holz aber stetig zurückging. Irgendwann kommt es zu einem Punkt, ab dem die Kurven von Nachfrage und Produktion unweigerlich auseinandergehen. Wird er überschritten, ist es für vernünftige Maßnahmen oft zu spät.
Im Hotel erwartet mich ein Schock. Das Zimmermädchen hat meinen Laptop so bewegt, dass der Bildschirm weiter eingerissen ist. Bald wird das Fenster in meine Bibliothek erblindet sein. Die Daten sind da, aber nicht mehr erkennbar. Hier, mitten im Pazifik, wird es keine Hilfe geben. Vielleicht in Neuseeland oder Australien. Bis dahin Internetcafés, die es inzwischen bis in die letzten Winkel der Erde gebracht haben. Was würde wohl passieren, wenn auf der ganzen Welt von einem Augenblick auf den anderen alle elektronisch gespeicherten Daten verschwänden? Würde die Zivilisation zusammenbrechen? Oder könnte sie sich schnell genug neu organisieren?
Die Rapa Nui haben ihre Tradition durch Erzählungen und das Lehren von Fertigkeiten über die Generationen weitergereicht und vorwärtsgebracht. Anfänge einer Schrift haben sie
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