Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
versinkt und die Schatten der Alten über die Ebene kriechen, dann kann ihre Last unerträglich werden. Als die Bäume gefallen sind, wird das Symbol der Macht zum Sinnbild von Ohnmacht.
Die kulturelle Evolution kann ihr Schicksal begreifen, eingreifen und das Blatt wenden. Die Rapa Nui versuchen nach dem Fall der
alten Kultur einen Neustart mit dem, was sie noch haben. Sie erfinden für ihre Landwirtschaft ein neues Verfahren, die Steinmulchtechnik. Die vielen faust- bis kopfgroßen Brocken liegen hier nicht zufällig herum. Sie verringern die Kraft von Sonne, Wind und Regen. Wo den Nutzpflanzen Schutz und Schatten der Wälder fehlen, drohen Erosion und Dürre.
Die unsagbare Menge von einer Milliarde Steinen haben die Bewohner auf die nackten Erdflächen verteilt. Wissenschaftler um den Kieler Ökologen Hans-Rudolf Bork haben errechnet, dass ein Mann dafür in seinem Leben mehr als die Strecke einer halben Erdumrundung zurückgelegt und über dreieinhalb Millionen Kilo Fels bewegt haben muss. Der Megalithenkult ist am Ende, die Menschen sind es nicht. Sie bedienen sich ihres Verstands und machen sich an die Gestaltung der Zukunft. Mühselig, aber lebensrettend. Ihre Steinzeit kann weitergehen.
Mit der Steinmulchtechnik, nirgendwo intensiver eingesetzt als auf der Osterinsel, verbindet sich ein bemerkenswertes Phänomen. Sie ist nicht nur dort erfunden worden. Unabhängig von den Rapa Nui haben die Maori auf Neuseeland sowie Völker in Asien und im Mittelmeerraum die Vorzüge der Steine für das Mikroklima in Bodennähe zu nutzen gelernt. Solche kulturellen Konvergenzen sind weniger zufällig, als sie auf den ersten Blick erscheinen. Vielmehr liegen sie in der Natur der Dinge.
Wenn ein Problem - nur - eine Lösung kennt, kommt früher oder später jemand drauf. Erst Darwin, dann Wallace. Dieselben Fragen, dieselben Erkenntnisse, dasselbe Ergebnis. Dass runde Dinge rollen, macht die Natur den Menschen vor. Der wesentliche Schritt war die Erfindung der Achse. Deren Grundprinzip ist immer gleich. Es gibt nicht unendlich viele Wege, sondern nur einen oder wenige. Die Aufgabe drängt gewissermaßen auf ihre Lösung: das Rad.
Dahinter steckt ein Prinzip, das neues Licht auf die Frage aller Fragen hinter der Evolution wirft: Zufall oder Notwendigkeit? Der französische Molekularbiologe Jacques Monod schlägt sich 1970 existenzialistisch bewegt auf die Seite einer gnadenlos zufallsbedingten Abfolge der Entwicklung, wie Darwin sie in die Naturforschung eingeführt hat. »Wenn der Mensch diese Botschaft in ihrer ganzen Tragweite
akzeptiert, dann muss er endlich aus seinem Jahrtausendtraum aufwachen und seine totale Einsamkeit, seine radikale Fremdheit entdecken. Er weiß nun, dass er wie ein Zigeuner am Rande des Universums leben muss.«
Die meisten Biologen betonen wie der 2002 verstorbene Stephen Jay Gould die Einzigartigkeit der Geschichte. Würde man die Evolution noch einmal starten, dann käme etwas gänzlich anderes heraus. »Jedes Lebewesen, das jemals auf diesem Planeten lebte, hat nur ein Los in der größten Lotterie der Welt bekommen.« Die Chance jedenfalls, dass dabei noch einmal so etwas wie der Mensch entstünde, beziffern er und seine Mitstreiter auf null. Darwin würde das vermutlich unterschreiben.
Aber ist der Konjunktiv, der Leute wie Gould vom »Zufall Mensch« sprechen lässt, nicht eine einzige Augenwischerei? Die Aussage, dass es uns eigentlich nicht geben dürfte, verliert jeden Sinn angesichts dessen, dass es uns gibt. Meine Welt mit mir als Mittelpunkt ist eine gleichwertige Möglichkeit unter unendlich vielen. Die Gegenfrage ist viel interessanter: Sind wir in irgendeiner Form vorgesehen? Gottgläubige nicken eifrig, die Ungläubigen wollen davon nichts wissen. Aber ist das nicht ohnehin nur eine Scheinfrage? Wenn wir Wunder wie die Schöpfung ausschließen und alles von Anfang an nach Naturgesetzen abgelaufen ist, dann war Charles Darwin, geboren am 12. Februar 1809 im englischen Shrewsbury, im Augenblick des Urknalls als Möglichkeit bereits vorhanden wie jeder andere vor und nach ihm. Im Wesen der Naturgesetze, die so etwas wie Mozart oder Manhattan nicht nur zulassen, sondern wenigstens an einem Ort im Kosmos auch verwirklicht haben, liegt das wahre »Geheimnis aller Geheimnisse«.
Der Paläobiologe Simon Conway Morris rüttelt mit der Gegenposition zum totalen Zufall seit ein paar Jahren seine Kollegen auf. Als einer der brillantesten Denker unter den Evolutionsbiologen unserer
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