Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
Steuert die Welt auf etwas zu, wie schon Teilhard de Chardin vermutet, als er Religion und Evolution zu versöhnen versucht? Folgen wir einer höheren Ordnung, wenn wir das Hamsterrad der Entwicklung immer weiter beschleunigen, als liefen wir vor uns selber weg? Liegt in der Kraft, die das Leben von Anfang an am Leben erhielt, ein höheres Prinzip, das wir mit allen Kreaturen teilen, mit Hoffnung speisen und Überlebenstrieb nennen?
Die Osterinsulaner, auf deren Seefahrerkünste sich Conway Morris beruft, geben sich nach dem Zusammenbruch ihrer Steinmannkultur nicht auf. Sie besinnen sich auf die ferne Zeit vor ihrer Ankunft und wagen auch spirituell einen Neustart. Nun stellen sie den alten Frühlingsgott Make-Make ins Zentrum ihres Kults. Der genießt in der polynesischen Mythologie einen herausragenden Rang, ist neben den Megalithen auf Rapa Nui aber zu einer Gottheit unter vielen degradiert worden.
Ich schleiche mich am Abend am verwaisten Pförtnerhäuschen vorbei in die Ruinen von Orongo, hoch über der See am Kraterrand des Rano Kau gelegen. Nur während weniger Wochen im Jahr haben die
Inselbewohner das Dorf auf der Südspitze zu Kultzwecken aufgesucht. Die Häuser aus kreisrunden Mauern, flache Steine aufeinandergeschichtet, haben sich bis heute erhalten. Nachdem die steinernen Riesen gefallen sind, haben die Rapa Nui eine neue Kunstrichtung kreiert. Sie ritzen Steinreliefs in die Felsen, ausdruckstark und geheimnisvoll. Überall auf der Insel finden sich diese Petroglyphen. Aber nirgendwo so eindringlich wie in Orongo, dem heiligen Ort der »Vogelmannkultur«.
Friede liegt über dem Stillen Ozean, karmesinrot aufblühende Wolken werfen das Licht der untergegangenen Sonne auf die mysteriösen Zeichen. Gesichter, Masken, Vaginas, Vögel. Aus dem Meer ragen drei steile Felsen empor. Sie stehen im Mittelpunkt alljährlicher Wettkämpfe. Im friedlichen Wettstreit ringen junge Männer darum, wer als Erster schwimmend und waghalsig kletternd das unversehrte Ei eines Seevogels von einer der vorgelagerten Felsinseln holt. Der Sieger bestimmt den Vogelmann seines Stammes und überreicht ihm das Ei - ein Herrscher auf Zeit, bis zum nächsten Wettkampf.
Die gestürzten Statuen täuschen darüber hinweg, dass die Leute von der Osterinsel wie die Menschenkinder nach der Vertreibung aus dem Paradies in dessen Trümmern sehr wohl wieder etwas Neues aufgebaut haben. Eine ausgestorbene Kultur hat einer frischen Platz gemacht. Der kulturelle Überlebenswille siegt - bis die Europäer kommen und auf ein Völkchen von vielleicht dreitausend Menschen stoßen. Einmal Außenkontakt, immer Außenkontakt, die übliche traurige Geschichte: Entdecker, Missionare, Siedler und Seuchen in immer neuen Wellen. 1836 wird die erste Pockenepidemie registriert. Dann auch noch Ausbeuter und Schinder aus Peru, die 1862 und 1863 die Hälfte der verbliebenen Inselbevölkerung verschleppen und als Zwangsarbeiter versteigern. Nach dem offiziellen Ende der Sklaverei sind Minenarbeiter knapp geworden.
Auf internationalen Druck führt Peru schließlich die letzten überlebenden Insulaner zurück, ein Dutzend von anderthalbtausend Verschleppten. Die bringen auch noch die Pocken mit, sodass 1872 nur noch genau hundertelf Rapa Nui auf der Osterinsel übrig sind. Am Ende, im 20. Jahrhundert, lassen schottische Unternehmen überdies ihre Schafe die Reste der einheimischen Vegetation niederfressen. Vollkommen kahle Stellen, wie die Insel sie vorher nie gesehen hat,
breiten sich aus. Bis heute liegen die »roten Wüsten«, durch Erosion von tiefen Schluchten zerfurcht, wie warnende Mahnmale über das Land verstreut. Die letzte Vogelmannzeremonie ums Sieger-Ei fand 1867 statt.
Auf dem Heimweg komme ich an der Iglesia Hanga Roa vorbei, der Hauptkirche der Insel. Bis draußen vor der schlichten Glastür unter polynesisch verzierten Säulen stehen Leute. Federleichter Wind bewegt die Luft. Die Gemeinde stimmt ein Weihnachtslied an. Singende Menschen können magnetisch wirken. Der Chor der Stimmen lockt wie die Wärme heimischen Feuers.
Es war ein Heiligabend, 1968, als die Besatzung von Apollo 8 ein Bild nach Hause funkte, das unsere Sicht auf uns und unsere Erde für immer verändert hat. HOMO SAPIENS sieht erstmals aus der Ferne seine Heimat. Halb im Schatten ihrer Nacht taucht die blaue Kugel über dem Horizont des Mondes auf. Das sind wir. So klein, zerbrechlich und wunderschön. Im Vordergrund aber, öde und unwirtlich, unser nächster Nachbar,
Weitere Kostenlose Bücher