Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
wie ein Wächter am Tor zum Totenreich des Alls. Niemand weiß, ob jenseits der feinen blauen Hülle von Gaia je irgendwo Leben erwacht ist. Bis zum Beweis des Gegenteils müssen wir uns als einzigartig betrachten, zumindest so einmalig wie unsere Welt selbst.
Mein Weihnachtsessen habe ich in einem der Straßenrestaurants bestellt. Die vier Chinesen sitzen am Nebentisch. Zufällig? Bei vielleicht vierhundert Touristen auf der Insel steigt die Wahrscheinlichkeit, einander immer wieder zu begegnen. Die geringe Zahl an freien Tischen in den wenigen geöffneten Lokalen verringert die Möglichkeiten, sich aus dem Weg zu gehen.
Der Wortführer spricht mich an. Ich kann nicht sagen, ob sich hinter seinem mechanischen Englisch Häme verbirgt, jedenfalls klingt er wie ein Lehrer, der einem dummen Schüler etwas erklären muss. »Wir wissen, was Sie im Westen denken. Dass wir viel zu viele sind und nicht die ganze Welt so leben kann wie Sie.« - »Tut mir leid, wenn ich Ihnen mit meiner Bemerkung zu nahe getreten bin.« - »Kein Problem. Wir sehen das Problem genau wie Sie.« - »Wir sollten zu gemeinsamen Lösungen kommen.« - »Angenommen, Sie meinen das ernst, dann schlagen wir Ihnen einen Kompromiss vor und kommen Ihnen entgegen.« - »Und der wäre?« - »Wir nähern uns einander an
und treffen uns in der Mitte. Bis dahin reduzieren Sie Ihren Lebensstandard im gleichen Maß, wie wir unseren erhöhen.«
Verhalten wir uns denn so anders als die Rapa Nui? Wir erklären dem Rest der Welt, dass unser Lebensstil den gemeinsamen Planeten vernichten wird, und machen ungezügelt weiter. Ignoranz wird Arroganz, und Zukunft schreibt sich wie Zynismus. Die Osterinsel ist doch nicht allein.
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Tahiti
Ausflug ins Innere · Papeete · Die käufliche Schöne · Zivilisierte Wilde · Reaktionen auf »Die Entstehung der Arten« · Darwin und die Kirche · Religion und Evolution · Kritik des Kreationismus
Das Beste über Tahiti ist bereits gesagt, wenn dieser Satz zu Ende geht. Ein Name, der auf der Zunge tanzt, Synonym für Südseetraum und Blütenpracht. Gauguin, kräftige Farben, anmutige Evas in üppiger Natur. Eine Insel, die dem Reisenden auf immer klassisch erscheinen muss. Bei der Ankunft im Flughafen zwei Hostessen in langen Blumenkleidern mit weißer Tiaré hinterm Ohr, ihrer Nationalblüte. »Iaorama«, sagen sie, »willkommen«, und verschenken süßen Duft. Ein Trio mit Gitarre und Mandolinen spielt zünftig polynesisch auf. Erste Eindrücke gründen stets sehr fest auf den zuvor erworbenen Vorstellungen.
Darwin hat die lange Überfahrt bei stetem Wind und gutem Wetter genutzt, um alles über die Südsee zu lesen, was die Bordbibliothek hergibt. Ellis, Beechey, von Kotzebue. Die Reisenden beschreiben Tahiti als Perle im Pazifik. Er jubelt, genau im Fahrwasser von Kapitän Cook zu segeln, und sehnt sich nach einem Stückchen Erde, von dem Aphrodite stammen könnte. Ein neues Cytheraea ist aus dem Ozean aufgestiegen, schreibt er mit Homer in die Heimat. Doch zunächst ist er ernüchtert. Aus der Entfernung war der Anblick nicht sehr reizvoll.
Mir hat das Eiland gerade aus der Ferne gefallen mit seinen schroffen Konturen, dem dichten Bewuchs seiner zerklüfteten Berge, den weißen Streifen Strand am Ausgang der Täler. Aus der Nähe aber zerfällt das Bild in abgesteckte Areale Tropentraum. Palmenparadiese aus dem Buch der Klischees, pazifische Exotik mit Chipkarte und Gästekonto, Sonnenuntergänge im Postkartenformat, gut bewachte Villensiedlungen, überfüllte Straßen, Shoppingcenter neben Elendsvierteln, eine weitgehend zerstörte Naturlandschaft im Innern und die Karikaturen
gut gebauter Südseemenschen auf dem zubetonierten Küstenstreifen.
Die Beagle geht in der Matavai-Bucht vor Anker. Mit 17 500 Kilometern von der Heimat ist der fernste Punkt der Reise erreicht. Nach dem Mahl fuhren wir an Land und genossen all die Freuden, welche die ersten Eindrücke eines neuen Landes bieten, und dieses Land war das reizende Tahiti. Eine Menge aus Männern, Frauen und Kindern hatte sich am denkwürdigen Point Venus eingefunden, um uns mit lachenden, fröhlichen Gesichtern zu empfangen.
Der Name des Ortes geht auf Kapitän Cook zurück, der dort 1769 den Transit der Venus beobachtet hat, den sehr seltenen Durchgang des Planeten vor der Sonnenscheibe. Ein weißer Leuchtturm mit schwarz gemauerten Ecken und quadratischem Grundriss markiert heute die Stelle, wo Ende des 18. Jahrhunderts erstmals protestantische
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