Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
ist das Tal dicht besiedelt. Eine kleine Straße führt sanft in die Höhe. Je weiter hinauf, desto einfacher die Häuser. Ich frage nach dem Anfang des Wanderwegs, die Leute schütteln den Kopf. Unpassierbar, zumal in der Regenzeit. Dann beginnt die Wildnis. An allen Seiten waren Bananenwälder. Darwin hat hier mit einheimischen Führern eine halsbrecherische Wanderung unternommen. Auch ich habe versucht, messerscharfe Grate entlang zu klettern, bin im Schatten der dunkelgrünen knotigen Stämme des Kawastrauchs hüfthoch im Wasser durch den reißenden Fluss gewatet, doch irgendwann muss ich mir meine Niederlage gegen den Sturzregen eingestehen.
Ich schließe mich einer Jeeptour ins Landesinnere an. Eine von der Sorte »Tahiti in drei Stunden«. Was Darwin noch halbwegs als Urlandschaft durchstreift, gleicht heute einer verwilderten Monokultur aus Unkräutern. Die Vielzahl von Erzeugnissen, die einen Kontinent charakterisieren, kann man auf einer Insel nicht erwarten. Gelb blühende Blumen aus Singapur und Ranken aus Japan überwuchern alles. MICONIA mit ihren violetten Blättern wächst meterhoch. Palmen ersticken. Der Jeep hält, wo die besten Fotos von Wasserfällen winken.
Der Fahrer und Führer namens Sydney, Sohn eines Amerikaners mit tahitischer Frau, hat nichts gemein mit seinem Namensvetter auf den Kapverden. Sein Wissen über die Natur hat auf einem Bierdeckel Platz. Immerhin weiß er, dass zwei Drittel des Grüns importiert sind. Dass sich Mimosen bei Berührung zusammenziehen, hat er noch nie gehört. Er verspricht, den Effekt in sein Programm einzubauen. Für die Kinder.
Über Darwin muss er in Amerika gelernt haben, wo er zur Schule gegangen ist. Dass der hier gewandert ist, will er nicht glauben. Ein englischer Botaniker, der sich an der Bibel versündigt habe, erklärt er den Mitreisenden aus Japan, Russland und Neuseeland. Wegen solcher Leute wie Darwin, die hier ihre Experimente mit tropischen
Pflanzen unternehmen, sei die Natur der Insel gefährdet. Ein junger Japaner will protestieren. Offenbar hat ihm seine Schule eine andere Version vermittelt. Doch die Höflichkeit und seine strenge Freundin zwingen ihn zum Schweigen.
Natürlich ist sie auch schön, die Perle, mit ihren Gärten im Blütenrausch, den Blumenkränzen und Kostümen, den Wasserfällen und Riffen. Wer noch nie im Schatten schräg gewachsener Palmen am lauwarmen Pazifik gesessen hat, mag hier seine Erfüllung finden. Nach einem Gang unter glühender Sonne kenne ich nichts Köstlicheres als die Milch einer jungen Kokosnuss. Nach Monaten Entzugs wird selbst ein frisch gebackenes französisches Baguette mit einem Café au lait wie in Lyon zum Genuss. Die »3 Brasseurs« mit ihrem herzhaft gebrauten Bier servieren elsässischen Flammkuchen. Treibstoff für die Kids der internationalen Partyszene, die hier die gleichen Clubs zum Schwitzen suchen wie in Bangkok oder Miami.
Versprechen rächen sich an denen, die an sie glauben. Tahiti ist der Name einer Schönen, in die man sich verliebt hat, um dann festzustellen, dass sie nur für Geld zu haben ist. Alles, was schön ist an ihr, ist käuflich, und was nicht käuflich ist, das ist auch nicht schön. Das Glück hält sich in Reichweite der Kreditkarte auf. Innerhalb der Bannmeile von Dollar und Franc übertrifft die tahitisch-französische Küche sich selbst. Feinste Früchte, Gemüse und Fisch in Bananenblättern gegart. Die Strände reiner, das Wasser klarer, das Türkis tiefer als im Prospekt. Vor feinen Perlenläden locken Modelmädchen. Ansonsten lächeln die Schönen vor allem von Plakaten für Mietwagen, Golfplätze oder Ferienressorts.
Darwin betritt Tahiti knapp fünf Jahre bevor Frankreich es zum Protektorat erklärt. Königin Pomaré IV., der er begegnet, regiert bis zum ihrem Tod 1877. Ihr Nachfolger Pomaré V. überträgt 1880 ohne die dafür nötigen Unterschriften hoher Häuptlinge die volle Souveränität seines Landes an Frankreich. Nach dem Ende der unter weltweitem Protest eingestellten Atombombenversuche in den Neunzigerjahren leistet sich die französische Republik heute ein »Überseeland« mit 250 000 Bewohnern und vier Millionen Quadratkilometern Anteil am Pazifik. Das kostet die Steuerzahler eine Milliarde Euro im Jahr und entspricht 4000 Euro pro Tahitianer, mehr, als die große Mehrheit der Bevölkerung jährlich verdient.
Die goldene Fessel aus Europa hat indes nicht verhindert, dass mit Oscar Manutahi Temaru 2005 erstmals ein Präsident ins Amt gewählt
Weitere Kostenlose Bücher