Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
Missionare gelandet sind. Familien treffen sich zum Picknick am Wasser. Dickliche Kinder spielen auf dem schwarzen Sand. Ihre Eltern stehen um Tische herum, trinken Softdrinks oder Bier aus Kühlboxen und kredenzen Fast-Food-Gerichte aus Warmhaltepackungen.
Das Land hat ein schwerwiegendes Problem: Billige Kalorien haben zu einer beispiellosen Verfettung der Bevölkerung geführt. Die Leute könnten in einem Aufklärungsfilm über die Folgen ungesunder Ernährung mitmachen. Noch nirgendwo habe ich so viele gefährlich übergewichtige Menschen auf einmal gesehen. Schon Darwin bemerkt, wie viel die Leute hier verschlingen können. Vermutlich rühren solch außerordentlich geräumige Mägen daher, dass ein Großteil ihrer Nahrung in ihrer jeweiligen Menge einen vergleichsweise geringen Anteil an Nährstoffen enthält. Heute ist es umgekehrt. Jeder Bissen Nährstoff pur. Die Evolution hat uns nicht auf billig sättigende Fertiggerichte vorbereitet. Lebensmittelkonzerne wissen genau um die fetten und süßen Schwächen der Menschen und spielen auf der biologische Klaviatur. Das Tier in uns will Kalorien schaufeln, als müsste es wie in der Vorzeit Reserven bunkern.
Darwin erlebt Tahiti und seine Bewohner noch beinahe urwüchsig. Die Männer beschreibt er als sehr groß, breitschultrig, athletisch und wohlproportioniert. … Die meisten … sind tätowiert, und die Ornamente folgen dem Schwung des Körpers so anmutig, dass der Effekt sehr elegant ist. … Der Körper eines solchen Mannes war wie der Stamm eines edlen, von einer Kletterpflanze
umfassten Baumes . Solche Burschen kann heute noch sehen, wer sich in den Fitnessclubs auf die Suche macht. Bei den Frauen stört ihn am meisten, dass sie das Haar von der Spitze des Kopfes abrasiert [haben], sodass nur noch ein äußerer Ring übrig bleibt. … Doch es ist eben die Mode, und das genügt als Antwort ebenso wie in Paris. Ansonsten findet er: Die Frauen scheinen ein kleidsames Kostüm nötiger zu haben als die Männer.
Seit Darwin das Elend der Feuerländer und das Scheitern von FitzRoys Mission erlebt hat, ist sein Interesse für Mensch und Menschheit nie mehr erloschen. HOMO SAPIENS fügt sich in sein Weltbild als Endpunkt eines Zweiges unter vielen. Im letzten Teil der Reise verfestigt sich seine Ansicht, dass auch diese Spezies eine evolutionäre Entwicklung durchläuft: von wild über halb wild bis zivilisiert. Ich spürte die Kraft der Bemerkung, dass der Mensch, zumindest der wilde, dessen Fähigkeit zur Vernunft nur teilweise entwickelt ist, ein Kind der Tropen ist.
Die Hauptstadt Papeete mit ihren heute rund zwanzigtausend Einwohnern hat außer der Strandpromenade mit Blick auf Kreuzfahrtund Containerschiffe im Hafen nichts zu bieten, was den unerträglichen Verkehr rechtfertigen würde. Auf dem Boulevard Pomaré staut sich das Blech von morgens bis nachts. Sobald der Tag zu Ende geht, verdoppeln die Taxifahrer ihre Preise. Dann liegen sie höher als in Paris. Aus den Elendsvierteln schleicht sich das Verbrechen bis an die Töpfe der Habenden. Jenseits der drei belebten Querstraßen der Innenstadt geht im Dunkeln außer den armen Anwohnern niemand mehr zu Fuß. Dort habe ich mir ein Zimmer genommen.
In meiner kleinen Pension versucht eine spindeldürre ältere Französin, sich Kette rauchend aus dem Leben zu husten. Vor ihr auf dem Frühstückstisch ein kleines Radio, aus dem Weltnachrichten sickern. Benazir Bhutto ist ermordet worden. Eine jüngere Frau, ebenfalls aus Frankreich, beklagt sich, eigens angereist zu sein, um ein Kind zu adoptieren, doch nun habe sich die Sache zerschlagen. Sie spricht, als habe man ihr ein Recht verweigert, das ihr als Kolonialerbin zusteht. Von Frau Bhutto hat sie noch nie etwas gehört.
Ich treffe nicht einen Menschen, der weiß, dass Darwin dieses Land besucht hat, und nur zwei oder drei, die den Namen jemals gehört haben. Das ist Negativrekord der gesamten Reise. Die Leute im Tourismusbüro kennen Dutzende Hotels und Restaurants. Aber ein »Darwin«
sei nicht darunter. Nicht einmal das Tal von Tia-auru (heute Tuaru), durch das ein Fluss in den See bei Point Venus fließt , ist ihnen bekannt. Im Bürgermeisteramt finde ich nach langem Suchen eine Angestellte, die mit »Tuaru« etwas anfangen kann. Ich nehme den Bus. Der Fahrer hat ebenfalls noch nie von dem Fluss gehört, den er mehrmals täglich überquert. Zum Glück kennt er das Shoppingcenter, das mir die Behördenfrau auf den Zettel geschrieben hat.
Zu Beginn
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