Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
Vierundsechzigjährige auch schon Friedensreich Hundertwasser und Bill Gates so begrüßt hat. Und auch nicht, weil ich noch Wochen danach jeden Mittelhandknochen meiner Rechten spüre. Sein fester Griff hat vielmehr alles ausgedrückt, was mir der stolze Maori später mit Worten beschreibt: Stärke, Kampfeslust und Selbstbewusstsein eines Volkes, das geknechtet wurde, aber nicht zerbrach.
Er hat mich als »Pakeha« begrüßt, als Weißen, auf meine Weise mit Handschlag und nicht mit der Zeremonie des Nasenreibens oder, wie es eigentlich heißen sollte, Nasendrückens in geziemender Form. Handschläge halten Distanz. Er sieht mir in die Augen. Dreckverschmierter Blaumann, schwielige Hände, grüne Baseballkappe. Dabei drückt er zu, als wollte er mir die Rechte zerquetschen, wenn ich nicht dagegenhalte. Typischer Männertest. Unten tasten, oben schauen. Dann gibt er nach und lacht. Irgendwie muss ich die Prüfung bestanden haben.
»Was glauben Sie, warum wir im Rugby die Besten sind?« - »Wegen Ihrer Bärenkräfte?« - »Stark sind alle. Es kommt auf was anderes an.« - »Die All Blacks sehen ziemlich finster aus, wenn sie ihren Kampfschrei loslassen.« - »Das ist es.« Er hat selber bei United KawaKaWa gekämpft, sich fast alle Rippen brechen lassen, fünfmal die Nase und einmal die Schulter, bevor ihn eine Knieverletzung zum Aufhören zwang. »Beim Rugby geht es um Teamwork. Nicht der Stärkste gewinnt, sondern die beste Gemeinschaft.« - »Das gilt für jeden Mannschaftssport.« - »Bei anderen ist das Gemeinsame der
Zweck. Bei uns ist es das Ziel. Der Sieg ist die Folge, nicht die Absicht.«
Wir sind in Waiomio. Dort gibt es einzigartige Kalksteinmassen, Burgruinen ähnlich. Touristen besuchen den Ort wegen seiner unvergleichlichen Höhle mit ihren Abertausenden von Glühwürmchen. Darwin hat sie nie betreten. Diese Felsen haben lange als Bestattungsort gedient und werden folglich als zu heilig erachtet, um sich ihnen nähern können. Heute steht ein Kassenhäuschen am Eingang. Die Toten werden längst unter Kreuzen begraben. Hinterm Schalter sitzt Georges Tochter Manuwai. Er hat in die Familie der Kawiti eingeheiratet, ein altes Geschlecht von Stammesführern.
Der Clan lebt schon lange hier, unweit der Bay of Islands im nördlichen Teil der Nordinsel Neuseelands, als die Beagle Weihnachten 1835 einen Zwischenstopp auf dem Rückweg nach England einlegt. Vielleicht liegt es an der Vorfreude auf die Heimat, dass Darwin durch seine englische Brille nicht erkennt, was er hier vor sich hat: Er wird Zeuge eines historischen Moments. Offenbar hat er einen direkten Ahnen von Manuwai Kawiti getroffen, jenes Mannes, der in den Geschichtsbüchern Neuseelands ganz vorn auftaucht.
Darwin erwähnt eine ausgedehnte Diskussion mit Mr. Bushby über das Verkaufsrecht bestimmter Ländereien . Dieser James Bushby vertritt seit drei Jahren als Gesandter in Neuseeland die britische Krone. Unter dem Druck einer möglichen Annexion durch Frankreich hat er soeben ein kleines Wunder vollbracht: Zwei Monate vor dem kurzen Halt der Beagle haben mehr als dreißig Maori-Anführer einen Vertrag unterzeichnet. Er geht als Unabhängigkeitserklärung der »Vereinigten Stämme« in die Geschichte des Landes ein. Mit einem der Stammesführer, aller Wahrscheinlichkeit nach Clanchef Kawiti, verhandelt Bushby, während Darwin zugegen ist. Ein alter Mann, der sich als Genealoge erwies, illustrierte mittels Stöckchen, die er in die Erde steckte, die aufeinanderfolgenden Generationen.
In Neuseeland tobt einer der mörderischsten Kriege der Geschichte. Zwischen 1818 und 1840 löschen die »Musketenkriege« ein Drittel der Maori-Bevölkerung aus. Die Stämme bekämpfen sich mit Schusswaffen, die sie im Tausch gegen Lebensmittel erworben haben. Den Höhepunkt erreichen die Metzeleien um die Zeit von Darwins
Besuch. Seltsam, dass er sie mit keinem Wort erwähnt. Kaum weniger merkwürdig, dass ihm der Wandel entgeht, der vor seinen Augen stattfindet: Ein Volk der Erzähler lernt schreiben.
Wenn die Stammesführer wollten und sich einig wären, könnten die Maori die rund zweitausend Ausländer in einem Streich besiegen. Doch die Mehrheit der Clanchefs will gemeinsam mit den Fremden etwas Neues beginnen, das Elemente beider vereint. Sie dulden die anderen, weil sie deren technisches Wissen und vor allem deren Schriftkultur übernehmen wollen. Denn sie begreifen, dass die Europäer als Recht nur anerkennen, was schwarz auf weiß geschrieben steht.
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