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Darwin - Das Abenteuer Des Lebens

Titel: Darwin - Das Abenteuer Des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Neffe
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führt hier auch Erleichterung die Feder. Das erste große Wasser ist geschafft. Das Erbrechen hat vorerst ein Ende. Vor ihm liegt der unermessliche südamerikanische Kontinent. Und eine Stadt, wie er sie auf seiner Reise über die Südhalbkugel ein ums andere Mal ansteuern wird: europäisch-christlich-kolonial geprägt, dem Auge nicht allzu fremd, Abendland im Gewand der Neuen Welt, Exotik für Anfänger.
    Die Altstadt von Salvador, wo ich meine ersten Nächte verbringe, dieser winzige Bezirk in einem schier uferlosen Siedlungskonglomerat, gleicht noch am ehesten dem, was Darwin damals zu Gesicht bekommen hat. Kopfsteinpflasterstraßen und -plätzchen, die bescheidenen Giebel, hinter denen sich weitläufige Häuser erstrecken, die angeblich 365 Kirchen, eine für jeden Tag des Jahres und eine heruntergekommener als die andere, doch selbst in ihrem Verfall noch prächtig und Ehrfurcht gebietend.
    Darwin kann vom Strand aus mehr oder weniger direkt in die Wildnis hineinspazieren. Ich muss mir sagen lassen, dass soeben das letzte verbliebene Stück Stadtwald einer neuen Shopping Mall und ihren Parkflächen gewichen ist. Kaum eine Tücke, der sich der Reisende auf den Spuren des anderen nicht stellen muss. Vieles verwischt, das meiste verloren, fast alles durch abertausend Hände gegangen und bis zur Unkenntlichkeit verändert.
    Ich bin noch keine vierundzwanzig Stunden auf dem Kontinent, da sitzt mir der Geologieprofessor Arno Brichta gegenüber, ein Brasilianer deutscher Abstammung, der in Freiburg promoviert hat, und die wunderbarste Geschichte meiner Reise nimmt ihren Lauf - eine Fortsetzungsgeschichte von bedingungsloser Hilfsbereitschaft, Tipps, Begleitservice, Gesprächen, Nachhilfelektionen, Einladungen, Mahlzeiten, Geschenken, Leihgaben einschließlich Quartieren und Autos, Fahr-, Fremdenführer- und Dolmetscherdiensten. Menschen, die mich so wenig kennen wie ich sie, von denen die meisten aber keine Grenze ziehen zwischen Gastfreundlichkeit und Gastfreundschaft.
    Professor Brichta hat sich eigens freigenommen, um mir ein paar Autostunden südlich von Salvador ein besonders gut zugängliches Reststück des Mata Atlantica zu zeigen. Dieser brasilianische Tropenwald erstreckt sich im Süden des Landes entlang der Küste bis weit in sein Inneres und weist mehr unterschiedliche Arten pro Fläche auf als
sein berühmter Verwandter, der Regenwald Amazoniens. Zu Darwins Zeiten ist der vorzeitliche Wald fast vollständig erhalten und reicht bis an die Stadtgrenzen Salvadors. Heute stehen noch einzelne Reste unverbunden wie Inseln in einem Ozean, insgesamt gerade sieben Prozent von dem, was einmal war.
    »Arno«, wie sich Professor Brichta vom ersten Händedruck an nennen lässt, nutzt die lange Fahrt, um mir sein und Darwins erstes Fachgebiet näherzubringen. Für einen »Historiker der Geologie« besitzt auch die Erde eine Biografie von der Geburt bis zum Tod und befindet sich gerade in ihren besten Jahren. Schon während der ersten rund drei viertel Milliarden Jahre, als es noch kein Leben auf unserem Planeten gab, gebärdete er sich äußerst lebhaft. Auf seiner Oberfläche ging es zu wie auf einer langsam wabernden Seifenblase.
    Seit sich das Leben breitmacht, hat sich das Gesicht der Erde in einem fort verändert und wieder und wieder vollständig verwandelt. Selbst vor erdgeschichtlich gar nicht so langer Zeit, etwa vor hundert Millionen Jahren, besitzt der Globus noch ein völlig anderes Antlitz als heute. Darwins Denken bewegt sich bereits in solch unbegreiflichen Zeiträumen. Er besitzt den extremen Zeitrafferblick des Geologen, um historische Schnappschüsse, zwischen denen ganze Zeitalter liegen können, in der Vorstellung zu einem bewegten Film zusammenzufügen.
    In Darwins Tagen sind es vor allem aufsteigende Inseln, sich wölbende Gebirge oder versinkende Landmassen, die den Diskurs der Koryphäen beherrschen. Der große kontinentale Verschiebebahnhof, den Arnos Studenten an der Universität von Salvador spätestens im ersten Grundkurs kennenlernen, muss erst noch entdeckt werden. So wie die Biologie auf Darwin, so blickt die Geologie auf Alfred Wegener, der als großer Vereiniger Darwin oder Einstein an genialer Kühnheit in nichts nachsteht. Mit seiner Theorie der Kontinentalverschiebung entwickelt der Deutsche die Grundlagen der »Plattentektonik«, der ersten großen Synthese für das Geschehen im Erdmantel und auf der Erdkruste. Fast ein halbes Jahrhundert braucht sein Geniewerk von der ersten

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