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Darwin - Das Abenteuer Des Lebens

Titel: Darwin - Das Abenteuer Des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Neffe
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»Zeigst du mir deinen Pass, zeig ich dir meinen«. Und dann das: Er hat nicht nur am selben Tag Geburtstag wie ich, er ist auf den Tag genau zehn Jahre vor mir auf die Welt gekommen. Den möchte ich sehen, den solch ein Zufall unberührt lässt. Aus so was können Freundschaften entstehen, zumindest aber zwei spontane Versprechen, einander bis zum Ende meiner oder seiner Tage jedes Jahr zu gratulieren.
    In dem Moment, als mir ein wildfremder brasilianischer Geologe spontan um den Hals fällt, weil zwei Zahlen in unseren Pässen übereinstimmen, wird mir urplötzlich klar: Wenn wir von Zufall sprechen, der bei Darwin eine so große Rolle spielt, dann meinen wir vor allem ein Gefühl. Dass uns ein Nachbar in der eigenen Stadt begegnet,
empfinden wir weniger als Zufall, als wenn wir ihn ohne Absprache auf einer einsamen Insel treffen. Je unwahrscheinlicher etwas ist oder uns vorkommt, desto zufälliger erscheint es uns, wenn es dennoch passiert.
    Eine hochgeworfene Münze fällt in der Hälfte der Fälle auf Kopf oder Zahl. Wenn wir Vorhersagen über das Ergebnis machen, liegen wir auf Dauer jeweils zu fünfzig Prozent richtig oder falsch. Die Wahrscheinlichkeiten für die richtige Vorhersage und das Eintreten des Wurfes sind gleich: Das nennt man Zufall. Wenn eine Seite der Münze aber in siebzig Prozent der Fälle erscheint, fällt sie nicht mehr ganz zufällig. Wir erkennen das Muster und »fühlen«, dass mit dem Geldstück oder dem Werfer etwas nicht stimmt. Wenn wir von Zufall sprechen, meinen wir in Wahrheit Abweichungen von vermuteten oder berechneten Wahrscheinlichkeiten. Zufall ist relativ.
    Wenn man den Partner fürs Leben trifft, und der ist »zufällig« am selben Tag geboren wie man selbst, so wie beim New Yorker Künstlerehepaar Christo & Jeanne-Claude, dann mag das wie Fügung wirken, besonders wenn es der einzige Gefährte im Leben bleibt. Steigert man aber die Zahl der Begegnungen, nimmt die Wahrscheinlichkeit auch solcher »Zufälle« zu, bis sie das Normalste der Welt geworden sind. In einem Fußballstadion mit 73 000 Zuschauern, wo im Schnitt jeweils 200 Menschen gleichzeitig Geburtstag haben, wundert sich niemand darüber, nicht das einzige Geburtstagskind zu sein. Sitzt man dann aber ausgerechnet neben einem, meldet sich schon wieder das Zufallsgefühl.
    Es fällt einfach schwer zu begreifen, dass die Wahrscheinlichkeit, mit einem Würfel zehnmal hintereinander eine Sechs zu werfen, genauso groß ist wie jede beliebige andere Folge. Wir bewerten Wahrscheinlichkeiten auch unterschiedlich, je nachdem, wie abstrakt oder konkret wir sie empfinden. Wenn wir hören, dass einer von 73 000 Autofahrern sein Leben bei einem Unfall verliert, setzen wir uns ziemlich bedenkenlos weiter hinters Steuer. Wir vertrauen darauf, das Schicksal abwenden zu können, was in 72 999 Fällen ja auch zutrifft. Wenn aber über besagtem Fußballstadion mit 73 000 Zuschauern ein Hubschrauber kreiste, und der Sprecher kündigte an, von dort werde ein einziger tödlicher Schuss »rein zufällig« in die Menge abgefeuert, bräche Panik aus.

    Mit Darwin halten Wahrscheinlichkeiten als statistische Größe Einzug in die Biologie. Er äußert sich nur vage über den Zufall und erklärt an keiner Stelle, was genau er damit meint. Sowohl die Geburt der Art als auch des Individuums , schreibt er 1871 in der »Abstammung des Menschen«, sind gleichermaßen Teile einer großartigen Folge von Ereignissen, bei denen sich unser Verstand weigert, sie als Ergebnis des blinden Zufalls zu akzeptieren. Gleichwohl gebührt ihm das Verdienst, die Zufälligkeit im Evolutionsprozess als solche erkannt zu haben: In jeder Generation mischen sich elterliche Erbanlagen beliebig neu. Wir werden noch sehen, dass dabei auch andere Arten des Zufalls zum Zuge kommen und dass Gegner der Theorie den Zufall für ihre Zwecke missbrauchen.
    Dass der gefühlte Zufall sich oft nicht mit der berechenbaren Wirklichkeit deckt und wir etwas für zufälliger halten, als es tatsächlich ist, zeigt das »Geburtstagsparadoxon«. Dabei geht es um die Frage, wie viele Menschen zusammenkommen müssen, damit mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent zwei den gleichen Geburtstag haben. Das Gefühl neigt zu dreistelligen Zahlen. Die Mathematik aber sagt 23. Somit treffen bei jedem zweiten Fußballspiel, wenn man den Schiedsrichter hinzuzählt, zwei Spieler mit dem gleichen Geburtstag zusammen. Befinden sich 66 Personen in einem Raum, liegt die Wahrscheinlichkeit sogar bei

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