Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
Unterbrechung.
Erst 1947, inzwischen über achtzigjährig, kehrt er an die Fundstelle zurück. Einer von denen, die bis zum letzten Atemzug an eine Idee glauben. Am 18. April wird er für seine Selbsttreue belohnt. Nach einer Dynamitsprengung findet er im Bruchstein, was mir fünfzig Jahre später in Pretoria ein Gefühl für die Geschichte unserer Spezies vermittelt: den am vollständigsten erhaltenen Schädel von AUSTRALOPITHECUS AFRICANUS.
Seither bestehen keine Zweifel mehr, dass Raymond Dart 1924 tatsächlich den ersten südafrikanischen Hominiden als Bindeglied zwischen Affen und Menschen aufgespürt hat. (Seit 2001 werden Mensch, Schimpanse und Gorilla auch als »Homininae« in einer Gruppe zusammengefasst.) Damit ist seit Darwin die erste wichtige Frage der Menschenevolution geklärt: Erst kam der aufrechte Gang, dann wuchs das Gehirn. Unsere frühen Vorfahren haben den Bipedalismus - die
Zweibeinigkeit - entwickelt, bevor unter anderem die Hände mit ihren unendlich vielen Möglichkeiten die Vergrößerung von Schädel und Inhalt gleichsam erzwangen.
Heute gehen Fachleute davon aus, dass Schimpansen und Urmenschen vor etwa sieben Millionen Jahren aus einer gemeinsamen afrikanischen Vorläuferart hervorgegangen sind. Über den weiteren Weg der Menschheitsentwicklung besteht Uneinigkeit. Als sicher gilt indes, dass auch unsere eigene Spezies, HOMO SAPIENS, in Afrika entstanden ist und von dort die Welt erobert hat.
Noch im selben Jahr, in dem er Mrs Ples gefunden hat, gelingt Robert Broom mit seinem Team eine weitere aufsehenerregende Entdeckung. Unweit des ersten Fundorts stoßen sie auf Knochenreste von PARANTHROPUS ROBUSTUS, der später als Mrs Ples gelebt haben muss. Sein Name bedeutet, dass er sich »parallel zum Menschen« entwickelt hat. Mit dem flachgesichtigen Hominiden wird klar, dass die Menschheitsevolution keineswegs geradlinig verlaufen ist. Dazwischen gab es viele Abzweigungen, immer neue Anläufe, auf zwei Beinen mit zwei Händen den afrikanischen Kontinent und später auch den Erdball zu besiedeln.
Die Zweibeinigkeit schafft eine Reihe von Vorteilen: Als Läufer ist der Vormensch zwar langsamer als vierbeinige Primaten, kann aber größere Distanzen zurücklegen und damit seinen Lebensradius entscheidend erweitern. So beginnt das Nomadentum des Menschen, das erst seit zehntausend Jahren allmählich sein Ende findet. In der Savanne hilft die aufrechte Haltung, sich einen besseren Überblick zu verschaffen. Anders als ihre vierbeinigen Vorgänger konnten sich Hominiden mit ihren langen Beinen auch in den Uferbereichen von Gewässern aufhalten. Dadurch erschlossen sich ihnen nicht nur neue Nahrungsquellen wie Fische, Muscheln oder Krebse. Auf ufernahen Bäumen im Wasser fanden sie auch sichere Schlafplätze.
Während ich die Prinzessin weiter auf Händen tragen darf, hat Stephany Potze erneut in ihre Schatzkiste gegriffen, Katalognummer SK 48. Sie reicht mir den Schädel eines PARANTHROPUS ROBUSTUS mit seinem erstaunlich flachen Gesicht, spezialisiert auf eine hauptsächlich pflanzliche Ernährung - eine weitere Sackgasse der Menschenevolution. Mit seinen kräftigen Zähnen kann er Nüsse knacken und auch Äste und Wurzeln kauen. Möglicherweise ist ihm seine Spezialisierung
zum Verhängnis geworden, als es im Zuge des damaligen Klimawandels durch Versteppung immer weniger für ihn zu essen gab.
»Um unsere hominide Vergangenheit zu verstehen, ist jedes Detail wichtig«, sagt die junge Forscherin und malt mir prähistorische Szenen aus. Da stehen wir mit den beiden versteinerten Schädeln, Versuchen der Evolution, sich in höhere Sphären vorzutasten, und ich sehe umherstreifende Familien und Sippen der Flachgesichtigen vor mir, immer hungrig, stets auf der Suche nach Essbarem, doch was sie auch zermalmen, es reicht immer weniger aus. »Schauen Sie sich seine Zähne an. Völlig runtergebissen. Das spricht für extreme Nahrungsknappheit.«
Da ist aber noch ein anderer Faktor, der das Aussterben von PARANTHROPUS vor ungefähr anderthalb Millionen Jahren beschleunigt und möglicherweise auch Mrs Ples und ihre Gattung in den Untergang getrieben haben könnte: Sie sind nicht mehr allein. Zu unserem Glück hat die Evolution rechtzeitig einen neuen Zweig am Lebensbaum gebildet. Vertreter der Gattung HOMO - Urmenschen - machen den Vormenschen den Lebensraum streitig. Sie besitzen einen unübertrefflichen Vorteil: Sie nutzen Werkzeuge und stellen sie auch selber her.
Der erste bekannte
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