Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
finden. Mit seinen Kollegen hat Kersley schon versucht, sie zu verbreiten, doch ohne Erfolg.
Der Wind nimmt zu, Regen kommt auf, equiemstimmung. Wie geht es einem Botaniker als Totengräber der heimatlichen Flora? »Schauen Sie sich um.« Der Blick reicht frei übers Land bis zum Meer. Ein paar vereinzelte knorrige Stämme stehen im Bild, manche schon nackt, andere tragen noch Reste von Grün. »Zu Darwins Zeiten war hier dichter Wald. Millionen Jahre alt. Das ist der Rest.« Dann zeigt er auf die kranken und toten Bäume und nennt ihre Namen, als streiche er einen nach dem anderen von einer Anwesenheitsliste. »CANARIUM PANICULATUM … HELICHRYSUM YUCCIFOLIUM … MONIMIASTRUM GLOBOSUM …« Ich möchte mir die Ohren zuhalten.
Die Wolken ergeben sich der Schwerkraft. Peitschender Regen, Anoraks. Zyklon Ivan ist fern im Anmarsch. Alle fünf bis sechs Jahre trifft ein Wirbelsturm die Insel. Kersley ruft einen Namen gegen den Wind. »HOMALIUM INTEGRIFOLIUM. Wartet auf Ivan. Blüht und hat Früchte nur nach einem Zyklon!«
Das letzte Stück geht fast senkrecht bergauf. Wir klettern auf die Spitze des Daumens. Wie bestellt verzieht sich der Regen. Von unserem erhabenen Standort aus genossen wir einen hervorragenden Blick über die Insel. Das Land wirkt auf dieser Seite recht gut kultiviert; es ist in Felder eingeteilt und mit Bauernhäusern gesprenkelt.
So also könnte einmal die gesamte Erde aussehen, wenn die Menschheit sich verdoppelt. Jeder nutzbare Flecken wird gebraucht. Gegen den Hunger zieht der Artenschutz den Kürzeren. 2007 führt die Weltnaturschutzunion 41415 Arten auf der Roten Liste der bedrohten Tiere und Pflanzen, 16306 stehen unmittelbar vor dem Aussterben. Wer das Kleingedruckte der Liste studiert, findet siebzig Prozent aller bekannten Pflanzenarten unter den gefährdeten. Der Klimawandel verschärft den Schwund.
Der deutsche Klimaforscher und Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzen, berühmt durch seine Idee eines nuklearen Winters, hat bereits ein neues Erdzeitalter ausgerufen, das »Anthropozän«. Seit Beginn des 19. Jahrhunderts ist der Mensch zum entscheidenden Evolutionsfaktor geworden. Durch die Einführung fremder Arten, durch Abholzung, Ausrottung, Versiegeln und Zersiedeln hat er ein Massensterben eingeleitet, das an die Ausmaße der großen Zäsuren in der Evolution heranreicht.
Gemessen daran, wie viel der Biotechnologie ein Patent an einem einzigen Gen wert ist, geht nicht zuletzt auch ihr Rohmaterial von unschätzbarem Wert verloren. Ließen sich die Hervorbringungen der Evolution aus Jahrmillionen als intellektuelles Eigentum des Lebens erfassen, ergäbe sich ein exorbitanter Wert. Die Natur hat sich auf Eventualitäten eingestellt, von denen wir nicht einmal eine Ahnung haben. Doch all die Antibiotika, Krebsmedikamente oder Schmerzmittel, die sie noch bereithält, gehen mit den Kreaturen verloren. Die kulturelle Evolution führt zur Vernichtung kreativer Potenziale aus der biologischen, die ihr schon bald bitter fehlen könnten.
Mauritius verbinden die meisten mit einer sündhaft teuren, weil äußerst seltenen Briefmarke. Das Gleiche - quod rarum carum - gilt für ihre Natur. Vielleicht nicht ganz zufällig beginnt hier auch die offiziell dokumentierte Geschichte der Artenvernichtung durch den Menschen. Als die ersten Besucher ankommen, lebt in den Wäldern
ein unförmiger Vogel mit langem gebogenem Schnabel, gekräuseltem Schwanz und Stummelflügeln: der Dodo. Da er keine Fressfeinde hat, ist ihm die Flugfähigkeit nach und nach abhandengekommen - wie dem Kiwi in Neuseeland. Das wird ihm zum Verhängnis. Eingeschleppte Ratten, eingeführte und verwilderte Haustiere, darunter auch Affen, machen Jagd auf den Vogel.
Der letzte Dodo soll 1681 von einem spanischen Seefahrer erschlagen worden sein. Die letzte glaubhafte Begegnung geht auf 1662 zurück. In die Annalen der Menschheit geht RAPHUS CUCULLATUS als erste durch Menschenhand ausgerottete Art ein. Lewis Carroll macht ihn in »Alice im Wunderland« 1865 zur ersten Ikone des Artenschutzes.
Neun Jahre später taucht unter einem Schreiben noch einmal Darwins Name in der mauritischen Geschichte auf. Zusammen mit sechs anderen - einer ist Joseph Hooker - wendet er sich im April 1874 an den Gouverneur der Insel mit einer damals höchst ungewöhnlichen Bitte: Die einheimischen Riesenschildkröten seien so gut wie ausgerottet. Nur noch auf der abgelegenen Insel Aldabra gebe es ein paar Exemplare. Gerade seien Konzessionen
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