Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
gesehen haben, als er eine singuläre Gruppe gerundeter Granithügel gleich hinter dem Dorf besteigt. Ich genoss einen feinen Blick vom Gipfel. Wie so viele Pfadfinderabenteuer der letzten Monate scheint auch dieses ohne Resultat zu enden. Hier gewesen, abgehakt. Auch Darwin ist nur noch schwer zu begeistern. Ich sah nie ein uninteressanteres Land, schreibt er auf dem Rückweg.
Da öffnet sich das Kirchentor, die Gemeinde strömt heraus, jeder Einzelne auf Afrikaans von Pastor und Küster verabschiedet. Noch einmal sage ich mein Sprüchlein auf. Man weiß ja nie. »Wussten Sie, dass Charles Darwin 1836 in Paarl war?« - »Nein«, sagt der Küster, »aber ich stelle Ihnen einen Mann vor, der sich mit Darwin bestens auskennt.« Und dann treffe ich endlich den überzeugtesten Bibelkreationisten meiner Reise, den »Evangelisten« Graham Clarke. Der Mann reist von Kirche zu Kirche, sammelt verschlissene Bibeln ein, viele seit Jahrhunderten im Familienbesitz und »Bybel« - mit y- geschrieben, bindet sie neu, bringt sie wieder zurück und darf dafür auf die Kanzel.
Wie auf Stichwort legt der Prediger los. Seine Frau mit Söhnlein und Töchterchen stehen dabei. »Ich bin ein wiedergeborenes Kind
Gottes. Er hat mich geschickt, sein Wort zu verbreiten.« - »Wie hat er denn zu Ihnen gesprochen?« - »Ich war ein Trinker und Schläger. Eines Tages 1993 hatte ich einen Kampf mit meinem eigenen Bruder. Da hörte ich Seine Stimme, fiel auf die Knie und bat um Verzeihung. Von dem Tag an habe ich keinen Alkohol mehr angerührt und mein Leben der Bibel gewidmet.« - »Gott hat ihn verwandelt«, pflichtet seine Frau bei. »Er hat aufgehört, mich zu schlagen.«
Nun ist der Fünfundvierzigjährige nicht mehr zu stoppen. Ein Schwall aus Genesis I,26, die Erde ist sechstausend Jahre alt, Psalm 138, Drogen, Pornografie und Jesu Rache, Sterne werden auf uns fallen. »Wir stehen vor dem Ende der Zeit und der Welt. Die Bibel sagt, es werden zehn Könige kommen, wenn Gott die Geduld verloren hat. Das sind die Regierungschefs in der Europäischen Union. Fehlt nur noch England. Wenn die dem Euro beitreten, kommt die Apokalypse.« - »Predigen Sie das auch in der Kirche?« - »Gott hat mich damit beauftragt.« - »Und wenn Ihre Kinder dabei sind? Keine schönen Aussichten für junge Menschen, die ihr Leben noch vor sich haben.« - »Gott hat uns sein Wort gegeben. Es nicht zu glauben ist die größte Sünde.« - »Wann genau erwarten Sie das Ende?« - »Das hat mir Gott in seiner Gnade nicht verraten. Aber ich weiß, dass er nach uns ein neues Universum und eine neue Erde erschaffen wird.« - »Was sagen Sie Ihren Kindern, wenn die in der Schule etwas anderes hören?« - »Sie gehen nicht zur Schule. Ich unterrichte sie zu Hause.« - »Sie sollten aber wissen, dass die Erde viel älter ist und dass alle Lebewesen, auch wir Menschen, durch Evolution entstanden sind.« - »Das behauptet der Antichrist.« - »Darwin hat ziemlich gute Argumente ins Feld geführt. Die Bibel bietet dagegen nur Behauptungen.« - »Darwin hat auf dem Sterbebett widerrufen.« - »Das wüsste ich.« - »Im Tod hat er Gott um Verzeihung gebeten.« - »Davon ist in der Literatur keine Rede.« - »Dann schauen Sie mal ins Internet.«
Wo jeder alles schreiben darf, findet sich natürlich auch diese Version einer Verschwörungstheorie. Plötzlich dient das Internet, Teufelszeug der »neuen Weltordnung«, wie Graham die letzte Phase vor dem Untergang nennt, als Quelle höherer Wahrheit. Darwin als Zeuge gegen sein Lebenswerk. Das haben er und Master Ples nicht verdient.
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St. Helena und Ascension
Die Insel der Saints · Postschiff RMS St. Helena · Napoleons Grab · Der Alte von Downe · Darwins Tod · Letzte Ruhe in der Abbey · Die Zukunft der Menschheit · Das Vermächtnis der Suppenschildkröten
So sollte sie sein, die letzte Etappe, auf der Reise wie im Leben: ein Stück Wehmut, weil das Ende naht, ein wenig Stolz, es geschafft zu haben, und zum Schluss noch einmal ein lichtheller Moment. Seit ich in New York vor der Weltkarte mit Darwins Route stand, hat mich dieser Punkt elektrisiert wie nur wenige. So einsam in den Weiten des Ozeans gelegen wie die Osterinsel, erreichbar nur auf einem Gefährt, das genauso heißt wie sein Ziel: RMS St. Helena, das letzte Postschiff Ihrer Majestät. Noch einmal auf hoher See, noch einmal der weite Blick, noch einmal im Südatlantik, wo alles begonnen hat. Ich fahre wieder steuerbord, Kabine A 25, diesmal aber in
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