Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
können. Sie waren es auch, die unter der Thatcher-Regierung britische Pässe erhielten. Den Übrigen ist das Konzept ziemlich fremd. Sie wachsen weitgehend ohne jedes Rassenbewusstsein auf, weil es sinnlos ist. »Ich habe in meiner Kindheit und Jugend nicht eine Sekunde über dieses Thema nachgedacht«, sagt Kedell Worboys, die seit einigen Jahren ihre Heimatinsel bei der britischen Regierung in London vertritt und gerade auf Dienstreise »zu Hause« weilt. »Es war ein Schock, wie wichtig es den Leuten in England ist.«
Das beherrschende Thema auf St. Helena, auf Schiff wie Insel: Per Volksabstimmung mit großer Mehrheit gebilligt, soll das Eiland ab 2011 einen Flughafen bekommen. Die britische Regierung unterstützt das Vorhaben. Die - vertraglich zugesicherte - Alternative wäre ein neues Postschiff, das der Insel alle fünfundzwanzig Jahre zusteht. Sobald der International Airport seinen Betrieb aufnimmt, kann sich London die Subvention für das unrentable Schiff ein für alle Mal sparen. Wieder steht das Ende einer Ära bevor. Die Tage der St. Helena sind gezählt.
Gouverneur Gurr, ein von England eingesetzter, vergnügter Verwaltungsaristokrat, der sich »Exzellenz« nennen lässt, sieht keine Alternative.
»Der Flughafen bietet den Anschluss an die moderne Welt.« Beim Bier im »White Horse« oder im »Standard«, den beiden Pubs im Hauptstädtchen Jamestown, hier noch altmodisch »Public Houses« genannt, oder bei den Damen in der benachbarten Markthalle hört sich das anders an. »Ohne das Schiff verlieren wir unsere Einzigartigkeit«, sagt eine. »Es gehört zur Insel wie jeder Einzelne von uns«, erklärt eine andere. »Es ist Teil unserer Lebens- und Familiengeschichten.« Dafür sind demnächst schneller und preisgünstiger Flugzeuge und moderne Containerschiffe zuständig.
Gleichzeitig werden die Grundstückspreise steigen, Ferienhäuser für wohlhabende Überwinterer und ein geplantes Luxushotel mit Golfplatz den Charakter der Insel verändern - und auch den ihrer Gäste: Während heute nur kommt, wer mehrtägige, mitunter ziemlich bewegte Schiffsreisen auf sich nimmt, werden Hinz und Kunz mit dem nötigen Kleingeld einschweben wie auf Ibiza, Puerto Rico und unzähligen anderen Inseln. Ein weiterer Punkt auf dem Globus verliert ein Stück seiner Einmaligkeit.
Damit aber, und das ist ihr wahres Dilemma, büßt die Insel mit ihrer einzigartigen Menschenmischung und deren altertümlich klingender Sprache einen Teil jenes Reizes ein, der die Gäste erst herlockt. Noch haben sich die Seelen der Saints trotz Satellitenfernsehen und Internet nicht mit dem Pulsschlag der Welt verbündet. Doch wenn sie so werden wie alle anderen, wer sollte von Europa einen zehnstündigen Flug auf sich nehmen, um zu erleben, was er auch in Wales finden kann? Das Wetter ähnlich verregnet, eine Vegetation von ausgesprochen britischem Charakter , ein einziger winziger Strand, ein paar nette Wanderungen, eine Stadt, die man nach einem halben Tag vollständig kennt, einschließlich St. James Church, der ältesten anglikanischen Kirche in der südlichen Hemisphäre. Was wird dann aus dem kleinen Staat St. Helena?
St. Helenas einzige wirkliche Attraktion bleibt die letzte Lebens- und Ruhestätte von Napoleon Bonaparte. Sie liegt als französischer Besitz in der Verantwortung eines Beauftragten aus Paris wie ein Fremdkörper auf der Insel. Die Saints reden von dem prominentesten Gefangenen der Weltgeschichte eher wie über ein notwendiges Übel, ohne Begeisterung, ohne jeden Stolz. Dabei wäre St. Helena ohne den Kaiser
so unbekannt wie unbedeutend. Schon zu Darwins Zeiten sind die Bewohner bemüht, ihr Image loszuwerden. Ein moderner Reisender belastet das arme kleine Eiland … mit den folgenden Titeln: Es ist Grab, Grabmal, Pyramide, Friedhof, Gruft, Katakombe, Sarkophag, Minarett und Mausoleum!
Nachdem ich Jamestown bis in die letzte Gasse erkundet habe, wanderte ich von Morgen bis Abend über die Insel. Gleich hinter dem Museum auf dem Hauptplatz, der »Grand Parade«, führt die »Jakobsleiter« steil den Berg hinauf. Mit ihren 699 Stufen für jeden Besucher, der es sich zutraut, ein Muss. Seltsam, dass Darwin die Treppe nicht erwähnt, die 1829 gebaut worden ist. Auf halber Strecke blicke ich fast wie aus einem Flugzeug auf das Städtchen hinab. Die Stadt zieht sich ein flaches, schmales Tal hinauf; die Häuser wirken anständig und sind durchsetzt mit sehr wenigen grünen Bäumen. Rechts und links Fels, Schutt und
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