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Darwin - Das Abenteuer Des Lebens

Titel: Darwin - Das Abenteuer Des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Neffe
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nördlicher Richtung, sodass mich die Morgensonne weckt.
    Als wir in Kapstadt ablegen und die 112. Fahrt des Royal Mail Ship’s beginnt, hat die Nacht dem Tag sein Licht bereits geraubt. Drohend steht der Tafelberg im Schein der Stadt. Sein Tischtuch aus Wolken, oft besungen, hat sich in ein Federbett verwandelt. Das Schiff, hinten Kreuzfahrt, vorne Container, eigens für die Insel gebaut, verlässt den Schmuddelteil des Hafens, wo die schweren Laufkräne arbeiten. Voll beladen stechen wir in See. Die meisten Reisenden bleiben an Deck, bis der Kontinent als Reihe blinzelnder Lichter hinter dem Horizont versinkt.
    Darwin hat am Kap jenen Mann getroffen, der ihm das Wort vom »Geheimnis aller Geheimnisse« in den Kopf gesetzt hat. Über die Begegnung mit John Herschel, immerhin das einprägsamste Ereignis, das zu genießen ich in langer Zeit das Glück hatte, ist nichts Näheres bekannt. Der Astronom wird später, religiös getrieben, einer der erbittertsten
Gegner von Darwins Ideen. Doch sein Credo, eine umfassende Theorie als Teil des Weltbilds kröne jede Wissenschaft, könnte Darwin zum nächsten Schritt ermutigt haben. Nur ein paar Wochen später, noch auf hoher See, vermutlich schon im Nordatlantik, äußert er erstmals Zweifel an der Stabilität der Arten.
    Am Ende seines Reiseberichts spricht er vom Bedürfnis und Sehnen, welches, wie Sir J. Herschel bemerkt, ein Mann erfährt, selbst wenn ein jeder körperliche Sinn voll befriedigt erscheint. Längst hat er seine zweite Reise begonnen, die im Kopf. Während der insgesamt dreiwöchigen Seefahrt von Kapstadt nach St. Helena macht er, am elften Tag, die einzige Eintragung in sein Tagebuch. Die Beagle überquerte den Wendekreis des Steinbocks zum sechsten und letzten Mal. Kein Wort mehr von Seekrankheit, kein vorbeisegelnder Kormoran oder springender Delfin.
    Wir sind vier Tage und fünf Nächte unterwegs. Die St. Helena als größter Arbeitgeber der Insel ist mehr als nur ein Schiff, so wie ihre Heimatinsel mehr ist als nur ein Eiland. Beide sind Legende, die eine wegen eines leeren Grabes (und seines früheren Bewohners), das andere als schwimmende Brücke zwischen einem einsamen Felsen im Meer und dem Rest der Welt. Es versorgt die Bewohner mit allem, was sie brauchen - Baumaterial, Lebensmittel, Autos, Bücher, Kleidung und nicht zuletzt auch mit der Post. Es fährt sie, gleich welcher Klasse oder Rasse, in die Ferien, auf Geschäftsreisen, zu Verwandtenbesuchen, zur Herzoperation oder zum Kinderkriegen in die nächste verfügbare Klinik.
    Unterwegs geht es zu wie auf einem Familienausflug. Jeder kennt jeden an Bord, die Besatzung eingeschlossen. Sie sorgt dafür, dass den Passagieren nicht langweilig wird. Da gibt es einen Bridgeclub, Turniere in Scrabble, Ringwerfen, Tischtennis, Kegeln oder Kricket, jeden Tag Kreuzworträtsel, Sudoku und eine neue Runde Teamquiz. Nach ein paar Mahlzeiten und wenigen Runden Karten oder Darts sind auch die zwei Dutzend Touristen in die Gemeinschaft der »Saints« aufgenommen, der »Heiligen«. So nennen sich die Bewohner seit Generationen.
    Am Ende der fünften Nacht kamen wir vor St. Helena an. Diese Insel, deren abstoßender Anblick schon so oft beschrieben worden ist, erhob sich gleich einer riesigen schwarzen Burg jäh aus dem Ozean. Bis heute gibt es dort weder einen geschützten Hafen noch ein größeres Kai. Wie alle Schiffe
muss das Royal Mail Ship in sicheren Tiefen ankern. Jeder Passagier und alle Fracht werden wie zu Darwins Zeiten per Fährboot oder Floß zur Pier übergesetzt. Ein paar Dutzend kleine Fischkutter und eine Handvoll Segelschiffe liegen in der Bucht. Als wir uns dem Ankerplatz näherten, bot sich uns ein eindrucksvolles Bild: Eine bunte Schar hat sich vor Tau und Tag zum Empfang versammelt.
    Rund viertausend Menschen leben auf der Insel. Sollte man ihre Herkunft nach ihrem Äußeren bestimmen, gäbe es Treffer rund um den Globus. Doch anders als in Mauritius oder anderen multikulturellen Gesellschaften hat sich europäisches, afrikanisches und ostasiatisches Blut hier so innig durchmischt und verwischt, dass nirgendwo eine Grenze zu ziehen ist. Schon Darwin beschreibt Angehörige einer viele Male gekreuzten Rasse. Ob eines Tages die gesamte Menschheit diesem Bild entsprechen wird?
    Während mir in Südafrika jeder seine Rassenzugehörigkeit nennen kann, ist auf St. Helena dazu niemand imstande - mit Ausnahme einer Handvoll »Weißer«, die ihre Stammbäume vollständig nach Europa zurückverfolgen

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