Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
Asche, dazwischen vor allem fühlbare Enge.
Mit jedem Schritt bergauf der Inselmitte entgegen wird die Vegetation üppiger, die Luft kühl und feucht. Das Wetter hier war kalt und stürmisch, und unablässig gingen Regenschauer nieder. Anorak, Fleece, noch einmal Frieren in den Tropen. Von Urwüchsigkeit kaum eine Spur. Wenn wir bedenken, dass die Zahl der heute auf dieser Insel angetroffenen Pflanzen 746 beträgt und dass von diesen allen zweiundfünfzig einheimische Arten sind und der Rest eingeführt wurde, die meisten davon aus England, so erkennen wir den Grund für das britische Gepräge der Vegetation. Darwin wandert bereits durch ein Stück Heimat. Nur auf den höchsten und steilsten Graten ist die heimische Flora noch bestimmend.
Wenn sich ein Volk darauf versteht, hügelige Wildnis in dramatische Kulturlandschaften zu verwandeln, dann die Briten. Mit den Wolkenfetzen, der durchbrechenden Sonne, dem leuchtenden Grün vor schwarzem Himmel, den Kirchlein, den verfallenen Friedhöfen und den idyllisch inmitten von Weiden gelegenen Gehöften ein Königreich für Panoramenmaler. Dann plötzlich bricht das Bild, die Trikolore taucht auf, ein kleiner Park, verspielte Geometrie, Gartenstatt Landschaftskunst: Longwood House, das letzte Domizil des 1815 in Waterloo geschlagenen und ans Ende der Welt verbannten Kaisers.
Wenn es neben der Isolation eine Strafe für Napoleon gab, dann das scheußliche Klima hier oben in den Bergen. Sein bescheidenes Landhaus ist ständig klamm und kalt, die Wände so verschimmelt, dass er sich auswechselbare Stoffbahnen davorhängen lässt. Darwin ist empört.
Hinsichtlich des Hauses, in dem Napoleon starb, ist dessen Zustand skandalös; die schmutzigen und verlassenen Räume, übersät mit den Namen von Besuchern, erschienen in meinen Augen wie eine vorsätzlich entstellte antike Ruine. Nachdem das Gebäude eine Weile dem Vieh als Stall und dann Termiten als Futterquelle diente, betreten heutige Gäste ein ordentlich wiederhergestelltes Gehäuse mit Museumsstücken aus seiner Zeit, dazu Kopien und Replikate napoleonischer Reliquien wie Mantel und Hut, Badewanne und Sterbebett. Kein Ort, der die beschwerliche Anreise rechtfertigen würde.
Und die leere Gruft? Darwin erhielt Unterkunft … in einem Häuschen einen Steinwurf von Napoleons Grab entfernt. Ich gebe zu, dass mich letztere Tatsache nur mit geringem Anreiz erfüllte. Zu oft ist bei diesem Thema die eine Stufe vom Erhabenen zum Lächerlichen überschritten worden. Der Verbannte hat sich den idyllischen Platz am Ende eines geschützten Taleinschnitts selber ausgesucht. Darwin weiß unter der namenlosen Steinplatte, die vor ein paar Jahren durch kargen Beton ersetzt worden ist, noch die sterblichen Überreste des Kaisers. Doch damals wie heute erzeugt [das Grab] keine Gefühle, die im Einklang mit der Vorstellung der Ruhestätte eines solch großartigen Geistes stehen.
Dass Napoleon bei aller soldatischen Kunst auch ein Aggressor war, der halb Europa und Nordafrika in seiner Großmannssucht mit Krieg überzog, ist weder bei Darwin noch in Longwood House irgendwo zu lesen. Vier Jahre nach dem Besuch der Beagle und knapp zwanzig nach Napoleons Tod wird der Leichnam exhumiert, von St. Helena nach Paris überführt und dort feierlich im Invalidendom aufgebahrt. Zweiundvierzig Jahre später wird Darwin ein ähnliches Schicksal zuteil - ohne sein Wissen, wider seinen Willen, aber nicht gegen seine Prinzipien.
Darwin möchte dort beerdigt werden, wo er die letzten vierzig Jahre seines Lebens fast ausschließlich verbracht hat: in der Nähe seiner Familie, auf dem bescheidenen Friedhof neben der Marienkirche von Downe. Nach Erscheinen der »Abstammung des Menschen« 1871 und seines weiteren Bestsellers über die Gemütsbewegungen im darauffolgenden Jahr klammert er sich an seine Arbeit, folgt beharrlich seinem Trott, gibt jedes Jahr mindestens ein neues Buch oder eine Neuauflage eines alten heraus, macht über alles und jedes Eintragungen
in seinen geliebten Notizbüchern. Er liest und schreibt Tausende von Briefen, untersucht »Die Wirkungen der Kreuz- und Selbstbefruchtung im Pflanzenreich«, »Die Bewegungen und Lebensweise der kletternden Pflanzen«, und, passend im Jahr vor seinem Tod, »Die Bildung der Ackererde durch die Tätigkeit der Würmer« .
Selten ist einem Lebewesen wie dem Regenwurm so viel Ehre zuteilgeworden. Es kann bezweifelt werden, ob es viele andere Tiere gibt, die solch eine bedeutende Rolle in der
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