Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
hervorgehoben, die gerade erst 10 Jahre alt geworden war, [als sie] starb.
Nach seinem Tod findet Emma zwischen seinen Manuskripten zusammen mit Annies Bild jenen Brief, in dem sie ihn kurz vor der Ehe angefleht hat, sich in seiner Wissenschaft nicht ganz der Religion zu verschließen. Auf den Umschlag hat er geschrieben: Wenn ich tot bin, dann wisse, dass ich dieses Bild oftmals geküsst und darüber geweint habe. Vermutlich der intimste Satz, den er je zu Papier gebracht hat.
Am 7. September 1876 bringt Schwiegertochter Amy einen gesunden Jungen zur Welt, den seine Eltern Bernard taufen. Doch die Freude erhält umgehend einen schweren Dämpfer. Wenige Tage nach der Geburt stirbt die junge Mutter an einem Fieber. Das Kind wächst bei Emma auf. Sohn Frank wird zu Darwins Assistenten bei seinen Experimenten mit Pflanzen und später zu seinem ersten wissenschaftlichen Nachlassverwalter.
Darwins öffentliche Auftritte kann man an einer Hand abzählen. Der Einsiedler von Downe hat sich dem Publikum nie präsentiert und den Rummel um seine Person aus sicherer Ferne verfolgt. Die Menschen kennen ihn nur von Abbildungen, die bis heute sein Bild bestimmen: als greisen Propheten, bärtig, finster, einsam. Oder von den zahllosen Karikaturen, die er mit großer Freude sammelt, besonders jene, die ihn als Affen zeigen.
Ende November 1877 reist er an seine alte Alma Mater in Cambridge, wo ihm die Ehrendoktorwürde verliehen wird. Als er das Senatshaus betritt, lassen Studenten eine Affenpuppe von der Galerie herunter, in das gleiche Festgewand gekleidet wie der Geehrte. Wie mag er sich gefühlt haben, als er zwischen den Reihen geistlich ausgerichteter Naturforscher, alle in vollem Ornat, zur Ehrung schreitet?
Im Sommer 1881 nimmt er als Ehrengast am Internationalen Medizinerkongress in London teil, dem bis dahin größten Treffen seiner Art. Er bleibt zwar nur während des Eröffnungsempfangs und ist deshalb auf dem berühmten Foto der Kongressteilnehmer nicht zu sehen. Doch zumindest eine Zeit lang befindet er sich in einem Raum mit
Rudolf Virchow und zwei kommenden Weltstars der Biologie: Robert Koch und Louis Pasteur.
Im August 1881 stirbt sein Bruder Erasmus. Darwin verliert einen seiner engsten Vertrauten. Ironischerweise hat der Ältere, in dessen Schatten sich Charles so prächtig entwickeln konnte, genau das Leben eines bemittelten Bohemien gelebt, das der Vater dem Jüngeren wütend prophezeit hat. Erasmus’ Leichnam wird auf dem Friedhof von Downe neben den Gräbern der beiden Babys beigesetzt. Darwin, der das Vermögen des Bruders erbt, macht sein Testament. Jede Tochter erhält nach heutigem Wert umgerechnet über zweieinhalb Millionen Euro, die Söhne jeder gut vier.
Im Dezember desselben Jahres wird Darwin ein zweites Mal Großvater. Sohn Horace und Frau Ida nennen den Enkel nach seinem verstorbenen Großonkel Erasmus. Im darauffolgenden Jahr spürt Darwin, wie es allmählich mit ihm zu Ende geht. Die anfallartigen heftigen Brustschmerzen lassen vermuten, dass sein Herz vor dem Infarkt steht. Beharrlich führt er Buch über den eigenen Verfall. Starke Schmerzen … Magen äußerst schlecht … Anfall, leichte Schmerzen. Gegen seine Angina pectoris bekommt er Morphium.
Anfang April sieht er die letzte Prüfung auf sich zukommen. Ich fürchte mich nicht im Geringsten vor dem Sterben, erklärt er seinen Liebsten. Mitte des Monats werden die Brustschmerzen unerträglich. Das dauernde Erbrechen fördert Blut zutage. Am 19. April 1882 gegen vier Uhr nachmittags, den Kopf an Emmas Brust gelehnt, löst der bewusstlose Charles Robert Darwin den Schuldschein für sein Leben ein. Das Paradies, an das er als Kind und junger Mann noch geglaubt hat und wo Emma ihn wiederzusehen hofft, hat er einer größeren Idee geopfert.
Der auf seinen Wunsch schlichte, ungehobelte Sarg ist schon gezimmert und alles für die Beisetzung neben Bruder und Kindern in Downe bereit, da ergreift jener Mann die Initiative, der heute wegen seiner Eugenik in Verruf steht: Francis Galton, selber ein hoch angesehener Wissenschaftler, findet im Parlament breite Fürsprache für eine Petition: »Es wäre im Sinne einer sehr großen Anzahl unserer Landsleute aller Klassen und Überzeugungen, dass unser hochberühmter Landsmann Mr Darwin in der Westminster Abbey beigesetzt wird.«
Kein Sir oder Professor, sondern ein schlichter Mister soll im Pantheon
der Geistesgrößen seinen Platz erhalten. Die Familie stimmt, von aller Welt bedrängt, im
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