Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
beide beeinflussen einander unablässig und untrennbar. Der eine Teil wird über Gene vererbt, der andere über Tradition und Erziehung. Seit Menschengedenken manipulieren Angehörige aller Völker ihr körperliches Äußeres, ob durch Piercing, Körperbemalung oder Tattoo, Schmuck, Schminke, Kleidung, Bodybuilding oder Skalpell. Wir nehmen uns nicht so an, wie wir sind. Vielmehr versuchen wir ständig mit allen möglichen Mitteln, unser Äußeres zu verbessern, die Signale der Biologie mit kulturellen Mitteln zu verstärken - oder umzudeuten. Wir täuschen etwas vor, das wir so nicht sind, um unsere Chancen im Partnerspiel zu erhöhen. Zur rein biologisch fundierten geschlechtlichen Selektion tritt eine kulturelle.
Wenn Körperbehaarung plötzlich im Auge der Betrachter als weniger anziehend empfunden wird, warten wir nicht mehr tausend oder zehntausend Jahre, bis die Evolution uns alle haarlos gemacht hat. Irgendwo fangen Menschen an, sich zu rasieren, und innerhalb einer
Generation hat sich das Verhalten weltweit durchgesetzt. Und zwar so intensiv, dass manche den Naturzustand, wie behaarte Frauenbeine, sogar als anstößig empfinden. So kann das ästhetische Bewusstsein ganz eigene Wege gehen, besonders wenn sich im äußeren Erscheinungsbild auch soziale Stellung und Wohlstand ausdrücken. Es spielt kaum eine Rolle, ob Reize künstlich erzeugt oder natürlich sind. Modezeitschriften, Seifenopern und Werbung schaffen Matrizen für eine Mimikry, bei der sich das Imitat oft nicht mehr vom Vorbild unterscheiden lässt.
Die Möglichkeiten und Grenzen, sich »attraktiver« zu machen, hängen indes nicht unwesentlich von materiellen Umständen ab. Bis heute gelten sichtbar gemachter Reichtum und gesellschaftliche Stellung in vielen Gegenden der Welt als erkennbarer Garant für erfolgreiche Fortpflanzung: Je mehr Nahrung, Sicherheit und Bildung Eltern ihren Kindern geben können, desto eher kommt der Nachwuchs durch und kann sich weiter vermehren - unabhängig von der »Qualität« seiner Erbanlagen. Kulturelle Erbschaft in Form von Gütern oder Macht übertrumpft biologische in Gestalt von Genen.
Damit haben sich die Menschen, seit sie tradierte Hierarchien und Eigentum kennen, vom rein darwinistischen Überleben des Tüchtigsten verabschiedet. Nachteile bei den Genen werden durch Vorteile bei den Dukaten mehr als wettgemacht. Soziale Schichten entstehen, werden undurchlässig, beste Paarungen verhindert, Stoff für tausendundein Drama. Die sexuelle Selektion ist zur sozialen geworden.
Gleichwohl hat sich Attraktivität, ob angeboren oder gemacht, zumindest in hochentwickelten Gesellschaften im Sinne des Fortpflanzungserfolgs weitgehend aus der Evolution verabschiedet. Sie dient nur noch dazu, den Marktwert im Geschlechterspiel und die Wahlmöglichkeiten für den passenden Partner zu erhöhen. Einen Einfluss auf die Zahl überlebender Nachkommen hat sie nachweislich nicht. Hässliche vermehren sich, von Extremfällen abgesehen, nicht weniger als Schöne. Und das vermutlich schon so lange, wie es Menschen gibt, die nach tradierten Regeln in Gemeinschaften zusammenleben. Bevor man leer ausgeht, nimmt man, was da ist. Wie sagte noch Danyl Zhytnyk, Chefingenieur auf der Aliança Pampas, als ich ihn nach seinen Präferenzen bei Liebschaften an Land befragte: »Nach zwei Monaten an Bord sind alle schön.«
Darwin, Erforscher der Fortpflanzung Wirbelloser und Entdecker der sexuellen Selektion, schweigt sich über das geschlechtliche Mit- und Gegeneinander der Menschen aus. Seine eigene Sexualität findet allein in seinen zehn Kindern Ausdruck. In seinen Tagebüchern, Briefen und Notizen verliert er darüber ebenso wenige Worte wie seine Biografen in ihren Lebensschilderungen. Viktorianische Prüderie und das frühe Bewusstsein, auch für andere zu schreiben, mischen bei ihm sicherlich mit.
In seinen Biografien wird zwischen den Zeilen das Bild eines keuschen Abenteurers gezeichnet, dem Steine und Kreaturen hinreichend waren. Aber wenn Darwin die Beagle-Fahrt tatsächlich so mönchhaftabstinent verbracht hat, warum erwähnt er dann nicht das Milieu in den Hafenstädten und ihren Rotlichtbezirken, und sei es nur aus den Erzählungen der Kameraden? Gerade das reine Gewissen hätte doch einem wie ihm, der sich für alles interessiert, die nötige Distanz schenken müssen, sich in gezügelter Form über das Seemannsleben auszulassen.
Wenn bei ihm gefeiert wird, dann feiern immer nur Männer. Freudenhäuser und Tanzsäle
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