Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
seltenen, vom Aussterben bedrohten Exemplare, die dem Zwang zur gelackten Vereinheitlichung entgangen sind, weil seine Besitzer nicht an den Vorteil von Modernisierung glauben. Ein geräumiges Bad mit Sanitäreinrichtungen, die vermutlich älter sind als ich, ein Saal von einem Zimmer mit Bettlandschaft und einem dreiflügeligen schulklassentauglichen Fenster. Und ein Blick über den kilometerlangen, perlhellen Strand von einem Ende bis
zum anderen. Wer monatelang aus dem Koffer lebt, entwickelt ein neues Heimatgefühl: My room is my castle.
Am ersten Morgen übertrifft das Klischee Copacabana sich selbst. Hier scheint ein Stück Menschheit den möglichen Sieg der Evolution über das Hässliche vorweggenommen zu haben. Die Show spielt vor den Augen badender Touristen, spazierender Senioren und kleiner Familien mit erstaunlich artigen Kindern aus den umliegenden Apartmentkomplexen. Aphroditen verschenken für ein Lächeln ihr blendendes Ebenmaß aus blühenden Lippen. Männer aller Hautfarben, prächtiger geformt als die Statuen griechischer Olympioniken, ziehen ihre Bahnen, werfen sich Bälle zu oder strecken sich auf viel zu kleinen Handtüchern im Sand. Dazwischen die Undefinierbaren, herausgeputzte Transvestiten und kinderhafte Transsexuelle, die sich scheinbar spielerisch über ihre natürliche Bestimmung hinwegsetzen können.
Die Götter, die diesem Glanz den letzten Schliff verleihen, inserieren täglich auf den Seiten für kosmetische Chirurgie, Fitnessclubs, Gebisskorrekturen, Nagelstudios, Make-up und Mode. Nur in den USA haben die Schönheitskliniken größeren Zulauf. Das Schaulaufen der Schönen findet zudem unter den Augen schwer bewaffneter Tourismuspolizisten statt. Ohne diese gefühlte Sicherheit würden die Gäste fernbleiben. Diebstahl, Raub, Überfall, über sechstausend Tote pro Jahr durch Gewaltverbrechen, manche sprechen von zehntausend, Zahlen wie im Irak. Die Armenviertel liegen in Sicht-, manche in Rufweite.
Das bunte Gemisch an auffällig attraktiven jungen Menschen in allen Hautfarben prägt selbst in den Armenvierteln im Norden der Stadt die Landschaft wie einst die Vielfalt an Getier und Gewächs den Urwald. Jeder will glänzen im Spiegel der anderen, sich abheben und anders sein als der Rest. Narzissmus und Eitelkeit als Lebensgefühl. Dazu wissen die Menschen sich hier zu bewegen, als herrsche tatsächlich, wie es ohnehin scheint, überall Tanz und Musik.
Dass Attraktivität einen höheren Fortpflanzungserfolg und damit einen evolutionären Überlebensvorteil mit sich bringen kann, hat als Erster Charles Darwin erkannt. Wenn Weibchen die Väter oder Männchen die Mütter ihrer gemeinsamen Kinder nach dem Erscheinungsbild auswählen, betreiben sie »sexuelle Selektion«, so sein neuer Fachterminus.
Diese Form der Zuchtwahl hängt nicht von einem Kampf ums Dasein mit anderen Lebewesen oder äußeren Umständen ab, sondern vom Kampf zwischen den Individuen eines Geschlechts, gewöhnlich des männlichen, um den Besitz des anderen. Prächtig gefärbte und geformte männliche Tiere legen den Schluss nahe: Die schöneren Männchen wurden von den Weibchen immer vorgezogen.
Die geschlechtliche ergänzt nach Darwin die natürliche Auslese. Die Vorlieben möglicher Geschlechtspartner machen im Kampf ums Dasein einen Teil der Umwelt aus. Das Schlussergebnis für den erfolglosen Mitbewerber ist nicht dessen Tod, sondern eine geringe oder gar keine Nachkommenschaft. Wer dem ästhetischen Geschmack des anderen Geschlechts am besten angepasst ist, dem winkt der größte Fortpflanzungserfolg. Dazu kann auch ein besonders schön getanztes Balzritual gehören. Die Tüchtigsten drücken ihre Fitness äußerlich aus. Um sich zu vermehren, muss man nicht nur gesund bis ins fortpflanzungsfähige Alter kommen, sondern auch einen Schönheitswettbewerb bestehen. Damit führt sexuelle Selektion zu einer positiven Auslese, indem die Attraktivsten den größten Erfolg haben, während natürliche Auslese ansonsten eher negativ selektioniert und die Schwächsten aussortiert.
Die ästhetischen Entscheidungen unzähliger Generationen von Weibchen haben bei den Männchen mancher Arten bizarre Merkmale entstehen lassen. Pfauenrad, Hahnenkamm oder Hirschgeweih gelten schon Darwin als plakative Beispiele für sein Modell: je prächtiger Rad oder Kopfschmuck, desto größer die Chancen bei den Weibchen. Ohne diesen Mechanismus, so Darwin, hätten Paradiesvogelmännchen nie ihr schillernd buntes Gefieder
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