Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
bleiben Luft. Nicht, weil sie ihm entgangen wären. Das ist so gut wie unmöglich. Sondern weil er es nicht mitteilen will. Womöglich folgt er dabei klug der bewährten englischen Weisheit, an die sich jeder Reisende halten sollte: Ein Gentleman genießt und schweigt. Als erkennbar reicher Europäer dürfte es Darwin an Gelegenheiten jedenfalls nicht gemangelt haben. Immerhin stellt er fest, dass … Frauen ihre Schönheit in einem etwas höheren Grade ihren weiblichen als ihren männlichen Nachkommen überliefert haben und daher, der allgemeinen Meinung nach, schöner geworden sind als die Männer.
Biologie wirkt auf Kultur zurück, wenn Attraktivität die sozialen Aufstiegschancen erhöht. In männerdominierten Gesellschaften gilt das vor allem für weibliche Reize. Das war zu Darwins Zeiten nicht anders. In hierarchisch wenig durchlässigen Ländern wie Brasilien bietet Attraktivität Frauen aus ärmeren Schichten daher oft die einzige Chance, ihrer Herkunft zu entkommen.
Wie segensreich sich ein anziehendes Äußeres auf den Lebensweg auswirken kann, weiß Andréia, die Lebensgefährtin von Florian Pfeiffer. Die Mutter zweier wohlerzogener Kinder stammt aus ärmlichen
Verhältnissen. Von ihrem früheren Leben und den Männern mag sie kaum erzählen. Aber ihr Horror vor jeglicher Form von Gewalt lässt tief blicken. Ein strenger Ton allein lässt sie zusammenzucken.
Florian hat sie, wenn man so will, vor ihrem Schicksal bewahrt. Eine kluge junge Frau, halb so alt wie er, die ihre Chance bekommen hat und sie nutzt. Sie hat Englisch gelernt, Deutsch ist als Nächstes dran. Sie sucht förmlich nach Gelegenheiten, sich neues Wissen zu verschaffen. Ihr lernbegieriger Sohn bekommt die Bildung, die ihm die Mutter allein nie hätte geben können. Bei Florian hat sie für sich und ihre Kinder außerdem etwas gefunden, das sie sich mit ihrem Geld nie hätte leisten können: relative Sicherheit. Das kann in dieser Gesellschaft einen echten biologischen Vorteil bedeuten.
Nur einen Steinwurf von ihrer gemeinsamen Wohnung im alten Stadtteil Santa Teresa entfernt, wo Touristen aus den Fenstern der alten Straßenbahn »Bonde« Schulkinder auf der Straße fotografieren, sieht die Welt ganz anders aus. Hinter der nächsten Häuserreihe zieht sich steil den Hang hinab die Favela von Santa Teresa, eine jener fast siebenhundert Armensiedlungen, die zusammen etwa eine Million Menschen in Rio beherbergen. Rund die Hälfte der Favelas soll bewaffnet sein. So auch diese hier, in die sich Polizeistreifen allenfalls in gepanzerten Autos wagen. Woanders werden die Ordnungshüter mit automatischen Flugabwehrkanonen beschossen. Sogar Landminen und Panzerabwehrwaffen wurden schon gesichtet. Zumindest auf ihrem Terrain besitzen die Banden Waffenhoheit.
Nicht einmal zehn Minuten zu Fuß, vielleicht nur fünf. Die Kinder laufen vor, Andréia ist bei ihnen. Sie kennt den Rand der Gesellschaft aus eigenem Erleben. Auf der Demarkationslinie zwischen Touristenpfad und No-go-area steht ein ausgebrannter VW-Bus. Vor einem Laden sitzen zwei Jugendliche mit früh gealterten Gesichtern und Pistolen auf dem Schoß. Mit erhöhter Wachsamkeit, Fluchtinstinkt und Angst macht sich evolutionäres Erbe bemerkbar. Unwillkürlich beschleunigt sich der Herzschlag, Muskeln spannen sich an, die Haut wird feucht, kühlt ab in der Brise des frühen Abends. Ich blicke freundlich hinüber, sie schauen ernst zurück. Nicht feindselig, sondern eher wie Soldaten, die gewissenhaft ihre Pflicht erfüllen. Allein wäre ich diesen Weg nie gegangen. Das wissen sie so gut wie ich.
In der Gasse treffen wir Freunde. Man spricht miteinander, die Kinder necken sich, wie in jeder normalen Wohnsiedlung. Eine schmale Tür in der Mauer zu unserer Rechten öffnet sich. Wir schlüpfen hinein. Das Haus hat zwei Stockwerke, eine nette Veranda und alles, was man braucht. Waschmaschine, Fernseher, Internet, reichlich Platz. Sogar ein Gärtchen gehört dazu. Hat nur einen Nachteil. Liegt in der Schussbahn von Polizei und Favela-Gangstern, wenn sie sich wieder mal Gefechte liefern.
»Area de risk«, sagt der Besitzer. Manchmal gebe es auch nachts Schießereien zwischen den Banden. Abgesehen davon sei das Leben hier aber gar nicht so übel. Die Gemeinschaft halte zusammen, keiner tue einem anderen etwas an. Da könne man sogar die Türen unverschlossen lassen. Wenn ihn jemand angreife, bekomme er es mit den anderen zu tun. Nur Verrat wird bestraft. Gegenüber der Anti-Drogen-Polizei
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