Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
Vater und Schwestern begrüßen einen anderen Menschen. Der etwas pausbackige Luftikus ist abgemagert und zu einem ernsthaften Mann herangereift. Der Vater bemerkt sogar, dass die Form seines Kopfes ziemlich verändert sei.
Sie fragen ihn aus, wollen alles aus seinem Munde hören. Doch er sieht sich außerstande, seine Geschichten so zu erzählen, wie sie es von seinen Briefen und Tagebuchseiten gewöhnt sind. Statt über Abenteuer redet er über Geologie. Ein Kurzbesuch bei Onkel Josiah Wedgwood, dem er die Erlaubnis des Vaters zur Reise verdankt, verläuft ähnlich steif. »Wir überschütteten ihn mit Fragen«, schreibt Emma, das jüngste von Josiahs Kindern, in ihr Tagebuch. Zwei Jahre später wird der Cousin ihr die Frage des Lebens stellen und um ihre Hand bitten.
Doch im Augenblick hat der Heimkehrer den Kopf voll von geistigen Abenteuern. Für ein paar Monate zieht es ihn nach Cambridge, das ihm so vertraut erscheint und doch wie hundert Jahre entfernt. Gelegentlich trifft er Freunde und Studienkollegen, regelmäßig sieht er den Geologen Sedgwick und den Botaniker Henslow, der die Sammlung seiner Fundstücke in einem Speicherraum aufbewahrt hat. Da liegen sie vor ihm wie Eintrittskarten in die Welt der Wissenschaft: Bälge, Felle, Präparate und Skelette, Gesteinsproben - und die getrockneten Pflanzen, die Henslow für ihn bestimmen will.
Ende Oktober 1836 wird er zu einer Teerunde in das Haus von Charles und Mary Lyell eingeladen. In Darwin begegnet der Begründer der modernen Geologie erstmals einem jungen Forscher, der sich mit ganzem Herzen seiner Idee des Gradualismus verschrieben hat. Eine lebenslange Freundschaft beginnt, die auch nicht an Lyells anfänglichen Zweifeln an Darwins evolutionären Gedanken zerbrechen wird. Zu der Runde stößt der Anatom Richard Owen, gerade fünf Jahre älter als Darwin und auf dem Weg, ein Star seiner Zunft zu werden. Darwin erkennt seine Chance und bittet Owen, die versteinerten Knochen zu untersuchen. Schon Ende Dezember 1836 erhält er die ersten wichtigen Mitteilungen. Einige Fossilien hat er falsch zugeordnet, aber er hat auch neue fossile Arten entdeckt, seine Ausbeute ist insgesamt von hohem wissenschaftlichem Wert.
Im März 1837 verlässt Darwin Cambridge und geht nach London,
ins geistige Zentrum Englands. Er bezieht eine Wohnung in der Great Marlborough Street mit Platz für ihn, seinen Diener Syms Covington, der ihm schon auf der Beagle zur Seite stand, und seine Sammlung. Große wissenschaftliche Institutionen wie das Britische Museum und die Zoologische Gesellschaft liegen in fußläufiger Entfernung. Sein Bruder wohnt in derselben Straße. Erasmus genießt nach dem Medizinstudium das Leben eines Gentleman-Bohemiens, das der Vater eher Charles zugetraut hatte.
Erasmus verkehrt in Intellektuellenkreisen, in die er auch den Bruder einführt. Endlich kommt der Weltreisende in jener Welt an, auf die sich sein Heimweh am meisten gerichtet hat: Er trifft auf Koryphäen der Wissenschaft, wie den Botaniker Robert Brown oder den Astronomen John Herschel - und auf den Journalisten Herbert Spencer, der später als einer seiner engsten Verbündeten die berühmte Formel vom »Überleben der Tauglichsten« prägen wird, des Survival of the fittest . Schon 1838 wird Darwin, gerade neunundzwanzig, zusammen mit Charles Dickens Mitglied der ehrwürdigen Gelehrtengesellschaft Athenaeum.
Sein Hauptinteresse gilt der wissenschaftlichen Arbeit an der Ausbeute seiner Reise. Er findet weitere anerkannte Experten, die seine mitgebrachten Schätze auswerten: John Gould für die Vögel, George Waterhouse für die nicht fossilen Säugetiere und Insekten, Thomas Bell für die Reptilien. Wie ein Süchtiger sammelt er Bausteine für sein Gedankengebäude, täglich wandern neue Informationen in sein Gedächtnis, Auswertungen seiner Proben, Hinweise von Fachleuten, Erkenntnisse aus Büchern.
Gleichzeitig startet er, wie sein Bruder noch auf Zuwendungen aus Shrewsbury angewiesen, eine Karriere, die ihm bald beträchtliche Einnahmen bescheren wird: Als Buchautor wird Darwin, der nie eine Anstellung oder wissenschaftliche Laufbahn gesucht hat, etliche Bestseller produzieren. Sein erster, an dem er gleich nach der Rückkehr zu arbeiten beginnt, wird unter dem schlichten Titel »Die Fahrt der Beagle« bekannt.
Im Geheimen beginnt Darwin zum ersten Mal jene Ideen aufzuschreiben, die ihm seit Langem im Kopf herumgegangen sein müssen. In einer Art stenografischem Text vertraut er sie
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